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Winken aus dem Vokabelmeer, weit entfernt oder: vom Begehren nach Normalität

Winken aus dem Vokabelmeer, weit entfernt oder: vom Begehren nach Normalität

von: 
Johanna-Yasirra Kluhs

“Wir steigen durch die Pfützen hinab zu den Augen des Anderen.” Tocotronic

Das ausufernde Feld der Interkultur ist grundsätzlich von einer Spaltung geprägt. Es tritt an mit dem Anspruch, eine inklusive Gesellschaft zu formieren und braucht zugleich Grenzen. Die Abgrenzung muss vor der Zusammenführung stehen. Kritische Reflexionen über die Machtverteilungen in der Gesellschaft und die (Selbst-)Zuordnung zu einem spezifischen Teil innerhalb dieser Architektur, produziert leider direkt eine Segregierung. So wie sie Zeugnis davon ablegt. Im Sprechen. Im Habitus. Das Handeln ist damit schon von Anfang an problematisch. Was machen wir damit?

Prekär ist, was benannt werden muss. Oder nein: die Benennung markiert die Prekarität. Wo liegt die Ursache, wo das Symptom? Zusammenhänge, die auf unzähligen Wechselseitigkeiten beruhen, passen eben schwerlich in ein Wort. Es ist doch auffällig, dass das Prekäre, Bedrohte oder Bedrohliche bei uns viel häufiger einen Namen bekommt als das Angenommene, Bestimmende. Warum entreißen wir die Realität der Normalität?

“Aber Moment: Normal ist doch normativ. Normal schließt immer aus. Diffamiert durch die Hintertür das Abweichende.”

“Ich meinte das im Sinne von Antispektakularität.”

“Das versteht doch keiner. Du kannst doch nicht ein Wort neu erfinden.”

“Hm, ja, vielleicht ist das Fachvokabular. Also: ich sehne mich danach, dass die Dinge so komplex sein dürfen wie sie eben sind. Und man das eben normal findet. Also das überhaupt nicht exklusiv sein muss, weder negativ, noch positiv. Mir fällt kein besseres Wort ein. Normalität könnte doch auch bedeuten, dass man eben gar kein Wort mehr dafür braucht.”

Ich möchte eine These aufstellen (nach Latour): Unsere Werkzeuge kritischer Analyse verhaken sich in denen des kritischen Handelns. Ein wenig so wie bei Schere Stein Papier: das eine schaltet das andere aus. Ein Beispiel: In einer von vielen Diskussionen über Diversität in Kulturbetrieben taucht plötzlich ein Superstar der aktuellen Machtkritik auf:

“Ah, der heterosexuelle, mittelalte, weiße Mann.”

“Ja, der ist das Problem!”

“Also klar: Männer, räumt das Feld.”

“Oder doch: angetreten zur Identifizierung! Hoppla, Identifikation, meinte ich.”

“Klar, ich bin ja eigentlich auch einer von diesen Männern.”

Zaghaft zeigen irgendwann alle Diskussionsteilnehmer auf: mit geröteten Wangen müssen wir bekennen, dass wir eine Gemeinschaft von weißen Männern sind. Auch wenn wir irgendwie Frauen sind. Und manche krauses Haar haben. Denn: wir regieren. Da, wo wir stehen, schaffen wir gemeinsam die Konventionen der Elite, des Privilegs. Umso besser! Dann können wir doch endlich beginnen, kritische Geschäfte zu machen.

“Hm?!?”

“Ja klar, die Formeln der Kritik, Konventionen der Selbstkarikatur sind doch Teil davon.”

“Wie, das hast du nicht gewusst? Naja, du bist ja auch neu hier.”

Ich versuche, die Ökonomien des Sprechens und Zusammenarbeitens im Hinblick auf Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung zu überprüfen, also während des Sprechens und Arbeitens. Wie kommen wir heraus aus der Exotisierung des „Anderen“, warum kann das Fremde nicht immer ein Teil des eigenen Selbstkonzepts und damit auch der Gesellschaft sein? Können wir spektral werden, karikaturresistent? Vielleicht könnten wir dann wieder miteinander sprechen ­­– übereinander ginge ja gar nicht richtig, man könnte ja nur noch über Teile, Ausschnitte, Eindrücke sprechen. Über Ideen von Sein. Die ja beweglich bleiben und per se als veränderbar eingeschätzt werden.

Das scheint mit der Kondition des kritischen Deutschseins produktiv zusammenzuhängen. Hier ist man doch qua Geschichte gespalten in sowohl selbstbewusstes Subjekt als auch betroffenes Objekt einer Nationalität. Es wäre doch schön, dieses Potential ganz radikal auszunutzen, unsere Identitäten zu praktizieren als atmende Fluide, die sich überschneiden und entzweien, verschränken und vermischen. “Connect with your spit. Get viral!” Das höre ich vor Kurzen auf einer Bühne in Berlin. Wir schaffen das. Deutschland bleibt Deutschland. Kompliziert, und damit eben auf der Höhe der Dinge. Normal. Bitte kein Spektakel draus machen.

Wie man daraus eine Institution baut? Wir suchen danach. Gleichzeitig verbindlich und beweglich sein. Eitelkeit ablegen, Status benutzen, um Vieles zur Erscheinung zu bringen. Mit dem arbeiten, was um uns herum ist - oder: sich ohne das eben gar nicht denken können. Damit sein. Damit etwas passieren kann. Mit jemandem. Damit jemand sein kann. Interkultur Ruhr hat das Ideal von sich selbst als leiser Institution. Um die Verhältnisse in Bewegung zu halten. Die Verfertigung der Gedanken im Tun. Idealismus muss ja auch kein Drama sein. Doch? Dann sag ich eben Realismus.

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