Amazonian Flesh – Wir sind mehr als nur Daten!
Amazonian Flesh – Wir sind mehr als nur Daten!
Wie ist es möglich, in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung und Verschmelzung von Technologien, Begehren und Körpern widerständig zu sein? Wenn jede Bewegung erfasst, ausgewertet und optimiert wird; wenn zudem die Art der Bewegung bereits algorithmisch vorbestimmt, der Radius durch migrantisch definierte Grenzregime strukturiert ist, wie lässt sich über Strategien nachdenken, die Widerstand leisten und so das Bestehende durchkreuzen? Wie lassen sich aus einer künstlerischen Perspektive eine ästhetische Sprache, Figurationen von Formlosigkeit und Anonymität, finden, die sich entziehen, ohne unsichtbar zu werden?
Hierzu recherchieren knowbotiq und ihr Team anlässlich der Ansiedlung des Versandhandelsunternehmens Amazon in Dortmund. Teil des Projektes ist eine unmittelbare künstlerische Intervention der Arbeitsverweigerung, der Faulheit, und des Mimikry bei einem Streik bei Amazon.
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Gehst du durch die blaue eiserne Drehtür? Gehst du an den orange-weißen Ballons vorbei? Oder bleibst du stehen? Und wenn du drin bist, gibt es ein zurück?
Im Oktober 2017 wurde in Dortmund ein neues Amazon-Logistikzentrum eröffnet. Es ist das 10. Logistikzentrum in Deutschland und das dritte im Ruhrgebiet. Waren werden dorthin geliefert, gelagert und – klick, klick, klick – nach erfolgter Online-Bestellung, die in kürzester Zeit auf dem Handscanner der Arbeiter*in erscheint, ausgeliefert. Es muss mehr als schnell gehen. Die Kund*in wartet ungern. Sie*er bezahlt dafür, das gewünschte Produkt möglichst schnell an der Haustüre in Empfang zu nehmen. Aber Amazon macht mehr: Die Klicks, die gebündelten Begehren der Konsumgesellschaft werden zu Daten, zu Algorithmen, zu Macht. Macht nicht zuletzt über die Körper und die Gefühle der Arbeiter*innen, die vor Ort verschaltet, global verwaltet, ein Teil einer maschinell-algorithmischen Realität werden.
Das neue Logistikzentrum steht am Stadtrand von Dortmund, auf dem Gelände der 2001 mehrheitlich stillgelegten Westfalenhütte. Neue Arbeitskraft und neue Körper befinden sich im Ruhrgebiet gleich vor der Haustür. Und Amazon wechselt gerne aus. Migrant*innen, Langzeitarbeitslose und im Jobcenter verwaltete Arbeitssuchende, deren Beschäftigung bei Amazon ein Segen für die von der Statistik der Arbeitslosigkeit geplagten Kommune darstellt, werden den Strom nicht so schnell versiegen lassen. Zunächst temporär angestellt sind sie alle prekär, werden zu Prekären gemacht, damit sie keinen Widerstand leisten können. Mit dem Argument, es sollen nur die Besten bleiben. Amazon selektiert gnadenlos.
Aber Amazon wird auch bestreikt, und dies seit mehreren Jahren. Das Ziel der von der Gewerkschaft ver.di organisierten Streiks ist der Tarifvertrag Versandhandel, mit etwas höheren Löhnen und mehr Sicherheiten. Gutes Geld für gute Arbeit. Aber es geht um mehr: die Anerkennung der Rechte der Arbeiter*innen als Verhandlungspartner*innen auf Augenhöhe, um Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Amazon jedoch verhandelt nicht gerne, sie haben ihr eigenes System der Überwachung – Belohnung – Abmahnung installiert, das ihnen die volle Kontrolle über die Arbeiter*innen, über deren Funktionen, Glieder, Geschwindigkeiten gibt. So werden die „Amazonians“ unfreiwillig zu einem Teil eines global agierenden und verknüpften logistischen Regimes aus Daten, Infrastrukturen, und Steuerungsprozessen, die auf Körper, Ressourcen, und Ökologien wirken.
Der Streik als Mittel des Arbeitskampfes, als direkte Intervention, hat noch nicht ausgedient, wenn man sich aktuelle Streikbewegungen anschaut, und dennoch stellen sich Fragen. Wofür streiken wir? Wie streiken wir? Welche Arbeit legen wir nieder? Überhaupt: Für welche Art von Arbeit lohnt es sich zu kämpfen? Die arbeitenden Körper sind individualisiert und in ihren Funktionen fragmentiert, und die Grenzen der Fabrik haben sich längst verschoben. Wohin? In das Soziale, in das Persönliche, bis in das letzte Molekül des Körpers. „Work hard, have fun, make history“, lautet die Arbeitsphilosophie von Amazon. Daher ist die Frage des Streiks auch eine Frage des Bewahrens und der erneuten Suche nach Formen von sozialer Selbstorganisation und Widerständigkeit, die in den technisierten, automatisierten und digitalisierten Arbeitswelten wirksam sind.
Damit ein temporäres Freischwimmen aus den Flüssen der Algorithmen und Daten, aus den Kontrollmechanismen von konsumistischen Begehren und Befriedigungen etwas ist, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Damit das Händereichen zu mehr als nur einer leeren symbolischen Floskel auf Gewerkschaftsfahnen wird.
Wir sind mehr als Daten!
Diskussionsabend: Neue Imaginationen des Arbeitskampfes
Sa. 18.11.2017, 19 Uhr
Chancen-Café 103
Oesterholzstraße 103
44145 Dortmund
mit:
Alisa Cusic (Mitarbeiterin bei Amazon)
Hans-Christian Dany (Autor)
knowbotiq (Künstler)
Karsten Rupprecht (Streikführer ver.di)
Tim Schmidt (Streikführer ver.di)
Felix Stalder (Medientheoretiker)
„Amazonian Flesh“ ist ein Kunstprojekt von knowbotiq im Rahmen des Programms „Uncommon Ground“ von Interkultur Ruhr, gefördert von Pro Helvetia und Kulturbüro Dortmund.
Nina Bandi, MA, studierte Politikwissenschaften (BA) sowie Soziale und Politische Philosophie (MA) an der Universität Genf und an der University of Sussex, UK. Seit Februar 2015 arbeitet sie im SNF-finanzierten Forschungsprojekt ‚What can Art do?‘ an der Hochschule Luzern, Design & Kunst. Im Rahmen dieses Projektes forscht sie für ihre Dissertation zur Frage der Repräsentation an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Nina Bandi unterrichtet an der Zürcher Hochschule der Künste im Fachbereich Design & Kunst.