knowbotiq: Amazonian Flesh
Migratorische Prozesse sind seit Jahrhunderten Teil der Geschichte der Logistik: fortwährende nicht-lineare Bewegungen, Versorgungen, Verteilungen. Logistische Regime steuern und kontrollieren jedoch nicht nur Bewegungen von Menschen und Waren, sie koordinieren vielfältige Formen der Mobilität. Als Teil eines sich verallgemeinernden algorithmischen Zugriffs wird die logistische Perspektive somit zum Angelpunkt in der Hervorbringung von gegenwärtigen Szenarien von Sozialitäten, Arbeit und migratorischen Bewegungen.
Das Projekt Amazonian Flesh untersucht die Verknüpfungen von Migration und Logistik anhand von Logistikzentren in Nordrhein-Westfalen, in denen „Arbeitskräfte“ auf der Suche nach Bedingungen des Überlebens, nach Ausbildung und Perspektiven mit einer logistischen Matrix aus algorithmisch gesteuerten Prozessen und Waren erfasst, verschaltet und gesteuert werden. Es zeichnet nach, wie logistische Unternehmen mithilfe von Diagrammen oder Flüssen, mit Kalkulationen oder Prognosen optimiert und effizient unseren räumlich und zeitlich definierten Alltag, unsere Projektionen und Imaginationen durchdringen. Sie greifen invasiv auf Körperteile, -Funktionen, Bewegungen und Begehren von uns als „Arbeitskräften“ und als „Kund*innen“ zu. Dadurch verändert sich unsere Wahrnehmung eines „arbeitenden Körpers“ zu einem logistischen Körper, als einer Assemblage von algorithmischen Infrastrukturen, Datenflüssen und organischen Materialitäten.
Im Projekt Amazonian Flesh werden zusammen mit Arbeiter*innen und Angestellten aus Logistikzentren, mit Expert*innen aus wirtschaftsnaher Forschung, mit Arbeitsrechtler*innen und Migrationsforscher*innen Fragen verhandelt wie: Welche Transformationen sozialer-technologischer-ästhetischer Verhältnisse entstehen durch die intensive Verflechtung von Logistik und migratorischen Prozessen? Was kann man Politiken der Filterung, Klassifizierung und Priorisierung entgegensetzen? Welche Formen von sozialer Poiesis, welche veränderten Sensorien, Verbindungen und Allianzen können entwickelt werden? Können Figurationen von Formlosigkeit und Anonymität Handlungsfähigkeiten ermöglichen? Amazonian Flesh ist ein Versuch, Geschichten der logistischen Besiedlung, der Ansteckung und der Widerständigkeit von migratorischen Körpern mittels zeitbasierter, performativer Poetiken und Fabulationen zu erzählen.
Lokaler Kontext: Im Herbst 2017 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks Westfalenhütte in Dortmund das neue Verteilerzentrum von Amazon eröffnet. Dabei entstehen neue Arbeitsplätze, vor allem für Langzeitarbeitslose, Geflüchtete und Arbeitnehmer*innen von Zeitarbeitsfirmen (viele mit migrantischem Hintergrund).
knowbotiq (Christian Hübler, Yvonne Wilhelm) untersuchen mit ihrer künstlerischen Praxis Formen der Sichtbarkeit, der Opakheit und der Unsichtbarkeit. Sie arbeiten an den Schnittstellen von Kunst, Medien und Gesellschaft. In ihren aktuellen Arbeiten leisten sie epistemischen Ungehorsam mit post-/kolonialen Repräsentationen und Erzählungen von Arbeit, Körpern und industriellen Landschaften. knowbotiq leben und arbeiten in Zürich, Berlin, Lissabon. http://knowbotiq.net
Nina Bandi, MA, studierte Politikwissenschaften (BA) sowie Soziale und Politische Philosophie (MA) an der Universität Genf und an der University of Sussex, UK. Seit Februar 2015 arbeitet sie im SNF-finanzierten Forschungsprojekt ‚What can Art do?‘ an der HSLU. Im Rahmen dieses Projektes forscht sie für ihre Dissertation zur Frage der Repräsentation an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Nina Bandi unterrichtet an der Hochschule Luzern im Fachbereich Design & Kunst.
"Amazonian Flesh" ist ein Projekt von knowbotiq im Rahmen des Programms "Uncommon Ground" von Interkultur Ruhr, gefördert durch das Kulturbüro Stadt Dortmund, Pro Helvetia und das Bundeskanzleramt Österreich/Kunst und Kultur.