Gelebte Diversität – ein Gespräch in der Silent University
Gelebte Diversität – ein Gespräch in der Silent University
Das Programm der Kulturkonferenz Ruhr 2018 wird von Interkultur Ruhr gestaltet zum Thema „Kulturorte für eine Metropole der Vielfalt? Zur Zukunft kultureller Räume und Institutionen“. Im Vorfeld der Veranstaltung stellen wir einige der Referenten vor. Bridget Fonkeu nimmt an der Arbeitsgruppe „Kunst und Wissen diversifizieren“ teil. Sarah Heppekausen hat mit ihr, mit Justin Fonkeu und mit Niklas Tijé-Dra in der Silent University in Mülheim an der Ruhr gesprochen.
Wenn Bridget Fonkeu von sich erzählt, sagt sie als erstes, dass sie Mutter sei. Sie spricht über ihre vier erwachsenen Kinder, die studieren, als Arzt oder Apothekerin arbeiten. Erst danach erzählt sie von ihrem eigenen beruflichen Weg, der nicht weniger erfolgreich, aber sicherlich komplizierter war. Bridget Fonkeu kommt aus Kamerun. Dort hatte sie als Gymnasiallehrerin gearbeitet, in Deutschland dann als Putzfrau, weil ihr Hochschulabschluss hierzulande nicht anerkannt wurde. So wie Bridget Fonkeu ergeht es vielen Migrant*innen in Deutschland. Das Wissen geflüchteter oder asylsuchender Akademiker*innen liegt brach.
Fonkeu begann 2008, zehn Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland, ein neues Studium, absolvierte ihren Master in Anglistik an der Ruhr-Uni Bochum und arbeitet heute am Institut für Anglistik und Amerikanistik an der TU Dortmund. In der Silent University in Mülheim hat sie ein Frauennetzwerk – das Interkulturelle Frauen-Empowerment-Netzwerk – gegründet, auch um anderen Migrantinnen beratend und unterstützend zur Seite zu stehen: „Ich bin mit 45 Jahren wieder an der Uni eingestiegen. Man soll nicht aufgeben, man kann in dieser Gesellschaft arbeiten und seinen Traum realisieren. Das möchte ich meinen Migrantinnen zeigen.“
Bridget Fonkeu bildet seit dem vergangenen Jahr zusammen mit ihrem Mann Justin Fonkeu, mit Niklas Tijé-Dra und Omar Mohamad das Leitungsteam der Silent University Ruhr. Die wurde 2015 vom Impulse Theater Festival, dem Theaterhaus Ringlokschuppen Ruhr und Urbane Künste Ruhr als autonome Wissens- und Austauschplattform gegründet. Geflüchtete und Asylbewerber*innen werden hier zu Dozenten und Beratern. Das alles passiert in einem ehemaligen Ladenlokal in der Mülheimer Innenstadt am Rande der Fußgängerzone, ein Eckgebäude mit riesigen Fenstern. Wie passend für einen Ort, wo Menschen sich begegnen und austauschen, wo stimmlos Wartende wieder hör- und sichtbar werden.
Einer, den man hier fast immer antrifft, ist Justin Fonkeu. Ein herzlicher, offener Mann, der neugierig durch die Welt läuft. So kam er auch zur Silent University, 2015, kurz nach der Eröffnung. Er schaute sich das Gebäude an, die „Dezentrale“, lernte das Team der Silent University kennen, stellte sich vor und wurde gleich als Vortragender und Berater engagiert. Justin Fonkeu kam zwei Jahre nach seiner Frau als politischer Flüchtling aus Kamerun nach Mülheim. Er hatte dort als Pharmatechniker gearbeitet. Auch sein Zeugnis wurde nicht anerkannt. Heute sitzt er als Mitglied der Grünen-Fraktion im Rat der Stadt und ist Vorsitzender des Vereins Afro-Mülheimers. Mit seiner eigenen Erfahrung könne er besser Geflüchtete begleiten und beraten, sagt Fonkeu. So etwas wie die Silent University habe er seit seiner Ankunft in Deutschland immer gesucht.
Was ist die Idee der Silent University Ruhr?
Justin Fonkeu: „Die Silent University bringt den Menschen ihren Wert zurück. Geflüchtete haben immer den Ruf, blöd zu sein. Aber wir können auch von Migranten viel lernen.“
Niklas Tijé-Dra: „In der Silent University wird Vielfalt als Chance gesehen.“
Niklas Tijé-Dra ist gebürtiger Deutscher. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines kamerunischen Vaters hat er sich in seiner Heimat Würzburg trotzdem immer als Außerirdischer gefühlt. Als Student (Anglistik, Französisch) kam er ins Ruhrgebiet, als Übersetzer zur Silent University. Hier könne er seinen Traum einer multikulturellen Gesellschaft leben, hier könne er mitbauen an der Zukunft einer offenen Gesellschaft.
Die Silent University Ruhr ist eine Zweigstelle. 2012 hatte der kurdische Künstler Ahmet Öğüt die Idee, das stillgelegte Wissen geflüchteter Akademiker*innen zu aktivieren und initiierte die Silent University in London. Geschwister-Universitäten gibt es in Stockholm, Hamburg, Amman (Jordanien) und – seit dem Impulse Theater Festival 2015 – in Mülheim an der Ruhr. Eine Universität im herkömmlichen Sinne ist die Silent University nicht. Sie ist selbstorganisiert, Creditpoints werden nicht vergeben, Abschlussprüfungen gibt es nicht. Es geht vor allem um den Austausch.
Die Silent University ist ein Ort der Vergemeinschaftung. Wie genau funktioniert das denn?
Niklas Tijé-Dra: „Durch Inklusion. Wir wollen hier jeden dabei haben, egal welche Nationalität, welche Sprache, welche Religion. Wir finden hier einen gemeinsamen Nenner und versuchen, gemeinsam etwas zu machen.“
Bridget Fonkeu: „Deutschland ist eine Migrantengesellschaft. Und die Silent University ist ein Beispiel, darüber zu reflektieren.“
Niklas Tijé-Dra: „Ja, wir reflektieren hier die Gesellschaft. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Auch wenn man in Deutschland immer noch darüber streitet. Wir sind da schon weiter. Während andere noch darüber diskutieren, leben wir das.“
Justin Fonkeu: „’Die Mutter aller Probleme ist die Migration’ – das sagt ein verantwortlicher Politiker heute im 21. Jahrhundert in Deutschland!
Bridget Fonkeu: „Aber das ist auch ein normaler menschlicher Schwachpunkt. Auch in Kamerun hassen wir die nigerianischen Einwanderer. So eine Ansicht ist normal, das ist menschlich. Aber wir wollen zeigen, dass man auch mit Migranten leben kann. Es sind nicht alle gekommen, um auszubeuten, sie bringen auch etwas mit. Das Prinzip ist ‚Give and Take’.“
Wer sich mit dem Leitungsteam der Silent University unterhält, ist gleich mittendrin in politischen Diskussionen. Wo, wenn nicht hier, sollte man über eine diversifizierte Gesellschaft, über nachhaltige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sprechen. Die Silent University ist auch ein Ort, an dem Klischees hinterfragt und Vorurteile abgebaut werden können. Einfach aus dem Grunde, weil Menschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Im April gab es zum Beispiel einen Vortrag über die Unterentwicklung Westafrikas und die französische Währungspolitik. Papa Wilane, Verwaltungswissenschaftler aus dem Senegal, berichtete vom ökonomischen Diktat: Der CFA ist 50 Jahre nach der politischen Unabhängigkeit in 14 Staaten immer noch offizielles Zahlungsmittel. Ein Mann sei mit Vorurteilen zum Vortrag gekommen, hätte die ganze Zeit komische Fragen gestellt, erzählt Justin Fonkeu. „Fragen, die wir ihm aber alle beantwortet haben.“ Er sei überzeugt worden und habe am Ende tatsächlich 100 Euro für die Organisation spenden wollen. Auch diese Art der Währungspolitik ist ein Grund für manche Westafrikaner*innen, nach Deutschland zu kommen. Und so leistet die Silent University immer auch Aufklärungsarbeit.
Mehrsprachigkeit ist ein großes Thema in der Universität für stillgelegtes Wissen. Jeder Vortragende darf sich in seiner Sprache ausdrücken, für die Zuhörer*innen wird übersetzt. Das fordert manchmal Geduld – Übersetzen dauert –, öffnet aber auch den Geist, spiegelt Deutschlands gemischte (Sprachen)Gemeinschaft wieder und schafft, ganz pragmatisch betrachtet, auch neue Jobs.
Mischt sich denn auch das Publikum oder hören überwiegend selbst Geflüchtete zu?
Niklas Tijé-Dra: Das Publikum ist gemischt, auf jeden Fall. Aber wir wünschen uns noch mehr neugierige Deutsche.
Die Liste der bisherigen Vorträge und Diskussionen in der Silent University ist lang. Vom „Leben als kurdischer Journalist und Menschenrechtsaktivist in Iran“ über „Zehn Arten arabischer Kalligrafie“, gesunde Ernährung, UN-geförderte Kinder- und Jugendarbeit in Syrien bis zum „Austausch von Unternehmensstrategien für Geflüchtete und Migrant*innen in Deutschland“.
Über Letzteres hat u.a. Esther Samson gesprochen. Die studierte Politikwissenschaftlerin kam vor acht Jahren aus Nigeria nach Deutschland, der Liebe wegen. Sie ist Autorin und Motivationstrainerin. In der Silent University ist sie als Dozentin aktiv. Und sie kommt regelmäßig zu Bridget Fonkeus Frauennetzwerk-Treffen. Die finden zweimal im Monat statt, ein Austausch im geschützten Raum. Da wird zum Beispiel über Frau-Sein oder Mutter-Sein in Deutschland gesprochen. 22 Frauen aus dem gesamten Ruhrgebiet sind dabei, sie stammen aus afrikanischen Ländern, aus Syrien, aus Afghanistan oder von den Philippinen.
Was bedeutet die Silent University für Sie persönlich?
Esther Samson: „Für mich ist die Silent University ein Ort, wo ich mich frei fühlen kann. Vorher lebte ich wie in einer Box, aber jetzt bin ich angekommen.“