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Auf der Suche nach neuen Brücken – Emilia Hagelganz vom Transnationalen Ensemble Labsa im Interview

Auf der Suche nach neuen Brücken – Emilia Hagelganz vom Transnationalen Ensemble Labsa im Interview

von: 
Thomas Engel

Das Programm der Kulturkonferenz Ruhr 2018 wird von Interkultur Ruhr gestaltet zum Thema „Kulturorte für eine Metropole der Vielfalt? Zur Zukunft kultureller Räume und Institutionen“. Im Vorfeld der Veranstaltung stellen wir einige der Referenten vor. Emilia Hagelganz vom Transnationalen Ensemble Labsa aus Dortmund nimmt an der Arbeitsgruppe „Wem gehört das hier? Institutionen und Deutungshoheit“ teil. Thomas Engel vom nordstadtblogger hat sie besucht.

Klar war von Anfang an: „Dort, wo wir arbeiten, wollen wir auch etwas mit den Menschen zu tun haben.“ Es kann nicht darum gehen, irgendwelche Ideen in solch ein Projekt gewissermaßen als Ufos zu setzen, sondern um die Arbeit mit den Menschen vor Ort, sagt Emilia Hagelganz: „Das hat sich jetzt fortgesetzt.“

Hört sich programmatisch an, ist es auch; die Sätze fallen eher beiläufig. Emilia Hagelganz ist vieles. Gerade gibt sie ein Interview, später wird sie zur Kita fahren. Dann wäre da noch dies und das, wie bei jedem von uns. Bei ihr ist es die Nähe zum Theater, sie ist Schauspielerin, Mutter, Regisseurin, Ex-Immigrantin, sicher auch Künstlerin. In dieser Eigenschaft leitet sie ein Ensemble, das da heißt: „Transnationales Ensemble Labsa“.

Wer offen ist für Offenheit, dazu neugierig, für sich nach neuen Ausdrucksformen sucht, dazu das Alltägliche nicht scheut, auch als Ach-zu-Menschliches mit Noch-Fremden, die/der mag hier gerne ankommen. Im Kreis jener, die fast alle eine andere Sprache sprechen, anders gucken, essen oder riechen. Wo? Im „Labor für sensorische Annehmlichkeiten“, kurz: Labsa.

Was sind die Ursprünge Eures Projekts, wodurch ist es motiviert worden?

Angefangen hat es 2007 in der Dortmunder Nordstadt mit dem gemeinnützigen Verein Labsa und einem dreijährigen Projekt in Zusammenarbeit mit einem polnischen Künstler*innenkollektiv; dann mit dem – vermutlich mittlerweile Lichtjahre entfernten – Kulturhauptstadtjahr 2010 vor Augen, erzählt Emilia während des Interviews.

2015 wurde schließlich das aktuelle Ensemble geöffnet, mit professionellen und Laiendarsteller*innen, und insbesondere „für junge Menschen, die damals mit 16, 17 anfingen und jetzt auch wachsen, mittlerweile selbst Dinge produzieren.“ Das sei eine neue Energiespritze für die Kulturarbeit gewesen, „total erfrischend“, raus aus einer „fast schon beklommenen reinen Kunst- und Kulturarbeit“, wo sich scheinbar jeder gegenseitig auf die Füße tritt.

Fast alle im jetzigen Ensemble sind Migrant*innen und das Projekt in gewisser Weise auch in diesen Kontext gesetzt, macht die künstlerische Leiterin von Labsa klar. „Wir versuchen eigentlich in alle Richtungen zu vermeiden, in einer bestimmten Schublade zu sein. Als allererstes sehen wir uns einfach als – Individuen.“ Freilich, mit den unterschiedlichsten Wurzeln. Konsequenz: dass wir „uns in ein sprachliches Babylon hineinwerfen“.

Was sind die Konsequenzen der quasi babylonischen Lage in dem Ensemble?

Deshalb läuft häufig Kommunikation immer wieder jenseits von Sprache ab, in diesem Dreieck zwischen Kunst – Mensch – Natur, das vom Kreativ-Labor gebildet und gepflegt wird. Hier, irgendwo in der westlichen Innenstadt Dortmunds, in der Langenstr. 98, wo sich in zwei Räumen, die bis Oktober 2019 von GrünBau gGmbH finanziert werden, einmal wöchentlich die Gruppe junger Menschen, vorwiegend mit Fluchterfahrung, regelmäßig zur Probe trifft.

Mittendrin, Emilia Hagelganz: „Das Ziel ist im Grunde genommen, gemeinsam Kultur zu machen: Unser Interesse ist, mit Menschen zusammenzukommen, die nicht unbedingt auf den ersten Blick etwas mit Kulturarbeit zu tun haben, oder den Zugang dazu.“ Zur Realisierung dieses Zwecks zählt sie zentrale Regulative und Mechanismen auf: „schauen, was uns zusammen bewegt“, „gegenseitige Inspiration“, „Mitgestaltung“.

In der Gründungszeit des Vereins ist dessen Bezeichnung, ist eben „Labsa“ entstanden. Seinerzeit hatten sie „auch mit konkreten Impulsen aus der Natur gearbeitet“, etwa mit Gravitation, Dingen, die häufig außerhalb des Alltagswissens liegen. Das Motiv: sich „von Erfahrungen von woanders inspirieren zu lassen“, so die Künstlerin mit russischen Wurzeln, die nunmehr seit fast 25 Jahren in der Bundesrepublik lebt.

Inspiration durch neue Quellen der Erfahrung – Wie sollen darauf aufbauend Grenzen zwischen Biographien, Sprachen, Kulturen über andere Kommunikationsformen überschritten werden?

„Es ist wichtig, auch auf Dinge zu achten, die außerhalb der konkreten Ebenen wie Sprache liegen. Das ist der Versuch, eine andere Narration in der Kommunikation zu suchen. Da gehört Tanzen, da gehört Musik zu. Mit dem letzten Stück Refugees Talks haben wir ganz bewusst angefangen, mit verschiedenen Sprachen zu spielen, und versucht, trotz alledem verständlich zu bleiben. Um nicht nur eine fremde Sprache auf der Bühne zu sprechen.“

Ein anderes Beispiel: „Wir hatten beim Tomorrow Club Festival 2016 [von Labsa] eine Kollegin, Zofia Bartoszewicz, die stark an und mit Improvisation arbeitet und im Big Tipi ein Konzert für Tier und Mensch gegeben hat.“ Darauf hatten dann nicht nur die anwesenden Ziegen reagiert, sondern zwischen den Menschen drum herum, darunter vielen Migrant*innen, gab es plötzlich ein Band, erklärt Emilia Hageganz: „Jeder hatte seine eigene Verbindung zu den Tieren, aber alle gingen mit, jeder konnte damit etwas anfangen.“

„Das ist für uns wichtig, eine Sprache zu benutzen, dass man dort beginnt, wo jeder etwas damit anfangen kann, statt mit einem großen Konzept.“ Also das künstlerisch-kulturelle Probieren am kleinsten gemeinsamen Nenner – und perspektivisch mit mehr im Blick: „Am Ende ist wahrscheinlich das Ziel, an einer gemeinsamen Heimat zu arbeiten.“

Welche Rolle spielen Deine eigenen, persönlichen Zuwanderungserfahrungen?

Ja, auch Emilia Hagelganz ist einmal zugewandert, hat viel erlebt, verschiedene Prozesse durchlaufen – das ist fluide, sagt sie: Es gibt „verschiedene Phasen, solche der Ablehnung, Aneignung, Suche“. Irgendwann geht das eine in das andere über – „eine absolute Bereicherung fürs Leben“ ist das für sie.

Bei ihrer Arbeit mit den jungen Leuten, die erst seit ein paar Jahren in Deutschland sind und eine klare Motivation haben, etwas zu tun, ihre Biographie gestalten wollen, statt zu warten, was passiert – dort versucht sie, genau dies transparent zu halten: dass es eine Bereicherung ist, was ich mitbringe, und darauf zurückzugreifen, um es mit dem, was ich hier lerne, zu vermischen, macht die Theaterpädagogin klar.

Die Rede ist also von einer Melange der Kulturen und deren Fruchtbarkeit, auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene. Dahinter verbirgt sich ihr transkulturalistisches, an postmodernen Theoriestücken orientiertes Verständnis sozialer Entwicklungschancen.

Transkulturalität – individuell, ohne viel Theorie-Ballast, als Einstellung, besser: Haltung – bedeutet nicht nur Offenheit für die Begegnung mit „fremden“ Kulturen, nicht nur, ihre Perspektiven einzunehmen, sondern bezeichnet vor allem die freie Aneignung von Segmenten des ursprünglich Anderen. Transkulturalität stiftet daher Persönlichkeit als ein sich kontinuierlich neu anordnendes Kaleidoskop multipler Identitäten, das die Resultante eines bewussten Bildungsprozesses ad mortem ist. Dies impliziert allerdings, die Deutungshoheit über sich zu behalten oder eben wiederzugewinnen.

Wir reden alle über sie, die „Migrant*innen“, die „Flüchtlinge“ – Dreht sich das im Ensemble? Spricht diese Gruppe jetzt über sich selbst, gewinnt sich in je individueller Form zurück, auch, indem transkulturelle Prozesse gestiftet werden?

„Kulturelle Institutionen oder Institutionen überhaupt in Deutschland sind nicht sehr stark von Migrant*innen durchflutet“, das ist, von dem, was sie gehört hat, in anderen Ländern nicht unbedingt so. Man hat das Gefühl, hier ist es als „Ausländer“ irgendwie schwieriger, mit bestimmten institutionellen Gegebenheiten. Sprache spielt eine Rolle, der Bildungsstand, es gibt relativ hohe Voraussetzungen, diagnostiziert Emilia.

Es gab irgendwann eine Welle, wo versucht wurde, Menschen mit anderen Hintergründen zu solchen Veranstaltungen wie der Ruhrkonferenz einzuladen, um zu zeigen: „Wir lassen sie ja auch mitsprechen!“ Aber: „Das ist total nach hinten losgegangen, wie, als würden Puppen irgendwo reingesetzt, eine absolute Scheinkoexistenz.“

Was ist da schiefgelaufen?

„In diesen Zusammenhängen wird eine Sprache gesprochen, die ist sehr speziell; das hat letztlich auch etwas mit der Profession zu tun, die für jemanden, der erst ein paar Jahre in Deutschland und überhaupt in dem Thema nicht drin ist, nicht mal eben so zugänglich gemacht werden kann. Dadurch ist es ein absoluter Trugschluss, zu glauben, ich setze da jemand einfach mal hin und der nimmt teil.“ Aber: „Wo fängt die Teilhabe an? Da sind wir noch auf einem ganz langen Weg, herauszuspüren, wo sie beginnt.“

Dafür hat die Theaterbegeisterte ein erfahrungsnahes Beispiel aus ihrem Arbeitsalltag parat: „Es war einmal en vogue, dass jedes staatliche Theater sich 'den Migranten' dazugeholt, einen Geflüchteten hat mitspielen lassen. Das haben Regisseure getan – und damit war's das aber auch: dann habe ich doch wieder 'den Schwarzen' gespielt. Man bleibt so in bestimmten Denkmustern. – Natürlich gibt es in Deutschland auch Theater, Institutionen, die anders agieren, hier anders denken; aber da sind wir noch am Anfang.“ Es gibt noch viele kleine Schritte zu gehen.

„Ich gehe mittlerweile zum Beispiel nicht mehr mit dem gesamten Ensemble zu Veranstaltungen dieser Art. Es gibt bei uns aber auch  Ensemblemitglieder, die sich in diese Thematik hineindenken, auch in der Organisation oder bei der Öffentlichkeitsarbeit mitarbeiten“, für die das etwa durch ein Studium der Sozialen Arbeit interessant sei. „Ansonsten glaube ich, dass soziale Teilhabe anderswo stattfindet. Es ist eben die Frage, an welchen Punkten fängt es an.“ 

Im Ensemble zum Beispiel? Es ist offenkundig niederschwellig angelegt ...

„Es ist ziemlich niederschwellig, genau. Für manche Kollegen von mir ist es manchmal sogar unerträglich niederschwellig, weil die Probe zwei Stunden später beginnt, was man im Theater sonst nicht kennt. Wir sind da damals auch erst reingewachsen, wir mussten ganz viel dazu lernen.“

Aber, bei allen Hindernissen, Schwierigkeiten, darauf legt die Theaterfrau großen Wert –  es entwickelt sich etwas: „Wahnsinnig großen Spaß haben wir an Veranstaltungen wie letzten Samstag; zwei junge Männer, einer aus dem Kongo, der andere aus Sierra Leone, leiten einen Workshop zum Thema Le Sape.“ Das ist eine Protestbewegung junger Männer, entstanden im Kongo in den 70er Jahren, die sich unheimlich schick anziehen.

„Es gibt bestimmte Bewegungen in der Welt, von denen wir uns unheimlich gern inspirieren lassen.“ Da gibt es Niederschwelligkeit, hier kommt Inspiration typischerweise von außen dazu. „Da geht es nicht um ein überprofessionalisiertes Kulturtreiben.“ Das sind unheimlich schöne Stunden gewesen. Die Jungs hegen eine gewisse Leidenschaft und geben die weiter: „Das ist das, was uns vor allem interessiert: Menschen, die eine Leidenschaft haben, sie mit anderen teilen“, strahlt Emilia.

„Andere professionalisieren sich im Kulturbereich; wir versuchen auch, Arbeit zu vermitteln, was nicht immer einfach ist. Das war auch ein Ziel von Anfang an, dass nicht nur wir Kulturmacher damit verdienen, sondern eher das Ganze längerfristig sehen und miteinander wachsen. Da schöpfen wir auch ganz klar voneinander und sind aufeinander angewiesen. Das ist eine Win-win-Situation, wo wir uns gegenseitig inspirieren, aber auch gegenseitig ausnutzen, wenn man so will, oder füreinander da sind.“

Ein Geben und Nehmen …, kein Selbstzweck …

„Ein Kollege aus Polen, ein Regisseur, Wacław Sobaszek hat irgendwann einmal in der Zusammenarbeit das Theater mit dem Überbegriff als das 'benötigte' Theater übersetzt, für die Arbeit, die wir machen. Ich glaube auch, das ist das, was für uns weiterhin wichtig ist. Theater nicht um des Theaters willen, sondern Theater, Kulturarbeit dort zu machen, wo wir den Sinn drin sehen.“

Wie kann das bei Theaterarbeit konkret vorgestellt werden? Schreibt ihr selbst Stücke?

„Wir machen Stückentwicklung, die [häufig] hier im Ensemble selbst passiert. Erst einmal ist die Basis der Theaterarbeit, dass man zusammen in Bewegung ist, im Alltag. Das ist ganz wichtig in dieser Gruppe hier: dass man mit der Arbeit keinen zusätzlichen Druck aufbaut. Alle, die zu uns kommen, haben in ihrem Leben schon einen großen Druck. Deswegen versuchen wir hier, den erst einmal abzubauen, um dann zu gucken: Welche Themen sind da, was begegnet uns auf dem Weg?“

Und Konfliktstoff gibt es reichlich. Emilia berichtet von der Produktion des Films „Black Box Merih“ im letzten Jahr. Anlass war das Verschwinden eines 17-Jährigen aus der Gruppe, von einem Tag auf den anderen. Ein dreiviertel Jahr war er weg.

„In vielen Dingen wird es dann auch politisch. Es ist ein eritreischer junger Mann. Was wäre passiert, wenn ein Jakob Schmidt verschwunden wäre? Da wäre bestimmt eine Hundertschaft da gewesen. Dann haben wir angefangen zu recherchieren. Das war kein Einzelfall. Es verschwinden immer wieder Jugendliche, die hier ankommen, registriert werden. Manchmal reisen sie weiter, manchmal ist es aber auch so, dass sie in Schwierigkeiten geraten, weil sie sich auf ihrem Weg hierhin sehr stark verschulden.“

So eröffnet sich dann ein Thema und viele verschiedene Gedanken dazu. Vor allem aber hat die Gruppe ihre Machtlosigkeit dem Ganzen gegenüber gespürt und aus ihr heraus diesen Film gemacht, erklärt sie: „Und so entstehen Arbeiten, weil es eine Brisanz gibt, über Dinge zu sprechen.“

Eine weitere Filmproduktion entstand im letzten Jahr anlässlich des Umstandes, dass ein Jugendlicher aus dem Ensemble keine Arbeitserlaubnis bekam: „Er versteht es nicht, es geht ihm alles zu langsam. Es sind am Ende ja auch nur junge Menschen, die oft versuchen, schneller weiterzukommen, als man vorankommt“, erklärt Emilia mit einem verständnisvollen Lächeln. Daraus aber sind verschiedene Komplikationen entstanden, die dann szenisch verarbeitet wurden.

Ein anderes Projekt: „Place to be shared“, über die Heimat durch Ansprache an das eigene Land: „Liebes Sierra Leone ...“, woraus Film wie Theaterstück entstanden. Oder da war die Geschichte einer Frau, gesteinigt in Afghanistan, die dann die Gruppe beschäftigte; daraus hat sich „die Thematik der Frau, über Rollen der Frau, des Frau-Seins entwickelt. So entstehen diese Dinge. Über Geschichten, die wir uns erzählen. Über den Alltag, der schwierig ist“, erklärt Emilia.

Eine Kollegin schrieb einmal über diesen Ort so etwas wie, es sei eigentlich jener, wo noch niemand gewesen sein kann: Utopie

„Ich weiß es nicht, es ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, wo die Reise hingeht. Es ist nicht so, dass wir uns hier das alles irgendwie ausdenken. Von Anfang an war das Gefühl, als es bei Labsa 2015 auch mit Mohamad Bangoura anfing, von einer unheimlichen Kraft. Man geht ja nicht einfach so auf die Bühne. Entweder hat man was zu sagen, oder man wird davon getrieben, irgendetwas bewegt einen dorthin. Es war ganz klar, dieser Mensch [Mohamad] bewegt einen, wird auch andere bewegen. Er war auch beim ersten Stück mit dabei und das war eigentlich der Ausgangspunkt für das Ganze.“

„Und das entwickelt sich dann so, hier ein Stück, dort noch eins … Irgendwann war klar: das Ziel ist es, solange wie möglich zusammenzubleiben. Was wir auf diesem Weg machen, weiß ich nicht, kann ich mir auch nicht ausdenken. Was am Ende daraus wird, keine Ahnung. Wir sind unterwegs. Es verändert sich auch, Leute sind ausgestiegen, andere hinzugekommen. So langsam wächst auch eine zweite Generation heran, Ensemblemitglieder fangen an, eigenständig etwas zu tun. Und wir fragen uns, wie können wir das auf sichere Beine stellen, Projekte realisieren? Was wird meine Rolle zukünftig sein? Ich spiele ja auch mit von Anfang an, wollte nicht nur Anleitende sein.“

Noch einmal zum Blick auf sich selbst: Wäre das dann die Rückeroberung des Ichs gegenüber Fremdeinschätzungen mit entsprechen Kategorisierungen, Stigmatisierungen, usf.?

„Das ist definitiv ein Thema, auch hier bei uns. Wir versuchen so wenig wie möglich, bestimmte Begrifflichkeiten zu benutzen wie etwa 'Flüchtling'. Es ist klar stigmatisierend; Einzelne haben auch irgendwann gesagt: 'Ich möchte nicht immer nur als Flüchtling gesehen oder auch nur so betitelt werden!' Deswegen versuchen wir ...“

… sozusagen bestimmte Bestimmungen zu vermeiden?

„Genau, diese Begrifflichkeiten nicht so häufig in den Mund zu nehmen; das gelingt nicht immer, ist ja auch Kulturpolitik; es lässt sich eben nicht die ganze Zeit vermeiden. Trotz allem ist im Ensemble selbst der Wunsch da, sich nicht andauernd da drin wiederzufinden. Sich selbst sehen sie ja eigentlich nicht so, sondern oft werden sie so betitelt. Denn jetzt sind sie nun mal in Deutschland und werden einer bestimmten Gruppe zugewiesen.“

„Wir haben jetzt in einem neuen Stück das Thema 'Integration'. Aber was heißt das? Wohin soll ich mich integrieren? Integrieren in jene Gruppe, wo alle jeden Samstag ihr Auto waschen, mich dorthin integrieren, wo Ausländer gut gefunden werden? Gesellschaft besteht doch aus ganz vielen Gruppen – und trotzdem wird nach Integration geschrien. Das sehe ich als Problem.“

Kommt auch drauf an, was unter Integration verstanden wird, oder nicht? Integration als Anpassung ist ja eine witzlose Geschichte. Dann wäre der beste Türke der gute Deutsche, dann verliert man alles ...

„Es fängt ja an mit ganz konkreten Dingen, mit Gerüchen, mit Geschmäckern, mit Alltagssituationen, dem Wetter, ganz viele neue Dinge, mit denen man zu tun hat. Wenn jemand in ein neues Land geht, ist immer die Frage: Was nimmt dieser Mensch sich an, was nicht? Was passt mir davon? – Das ist für mich eher die Frage eines Individuums, nicht die einer Gruppe. Das entscheidet am Ende doch jeder irgendwie für sich selbst.“

Nach fast 25 Jahren in Deutschland musste Emilia letztens, bei der Geburt ihres ersten Sohnes, ihren russischen Namen abgeben, weil er ihn hätte tragen sollen, obwohl ihr Name von Anfang an eingedeutscht worden war, aber nur im Pass. Auf einmal spielte ihre Geburtsurkunde wieder eine Rolle.

„Da kommt es zu so absurden Situationen, wo auf einmal der Neugeborene so heißen soll, wie kein Mensch mehr in dieser Familie heißt – was mitgebracht wird in so einem Rucksack. Auf einmal wird es Realität, wo Du nicht geglaubt hast, das es für einen noch eine Rolle spielt. So holt es Dich immer wieder ein.“

Es ist also eigentlich immer da? Ich lebe seit Jahren woanders, meine Zeit der ursprünglichen Sozialisation, das alte Leben ist in mir, aber durchdrungen mit dem Neuen und ich vergesse das Früher vielleicht nur zeitweise im Prozess der Bastelarbeit …

„Ja, aber wichtig ist: da bastelt jeder für sich. Es geht nicht darum, sozusagen Gruppen zu bauen, um es sich einfacher zu machen in der Kommunikation. Wir versuchen, bei Labsa den einzelnen Menschen zu sehen, stark darauf eingehen, was er mitbringt, was ihn bewegt – und da lassen wir uns mitbewegen.“ Daher wurde Labsa schon als eine Art Para-Institution begriffen. Offenbar mit Betonung auf ihren relativ offenen Charakter.

„Ich glaube nicht, das es bei der nun anstehenden Kulturkonferenz nur darum geht, was man irgendwie anders machen kann. Es werden ja von verschiedenen Leuten schon Dinge anders gemacht. Die Sachen müssen nicht ständig neu entworfen werden. Auch in Fragen der Integration, was da jetzt in Chemnitz passiert: Du hast ständig das Gefühl, dass dieses Thema immer wieder aufs Neue aufgemacht wird, aber es ist nicht neu.“

Aber da in Chemnitz wurde es plastischer …

„Genau, aber dass es da einen gibt, der vor einem Fremden Angst hat, dass man sich mit seinen Nachbarn nicht versteht, sein Essen nicht riechen kann oder so – diese Dinge gibt es schon ganz lange. Ich glaube, dass es wichtig ist, mehr darüber in der Normalität zu sprechen, weniger in einer politischen Situation, so als wäre das die ganze Zeit ein Ausnahmezustand, den wir hier leben.“

„So kommt es einem die ganze Zeit vor, in der Arbeit, dass Migration keine neue Gegebenheit ist, sondern eher Normalzustand menschlichen Daseins, genauso wie der Andere einem nicht direkt passen kann. Dann geht es darum, wie verständige ich mich mit meinem Gegenüber? Deswegen frage ich mich immer, weshalb man in der Kulturarbeit dafür bestimmte Felder wie 'Interkulturelle Arbeit' entwerfen muss. Wird Kunst in seiner ernsten Form genommen, die Räumlichkeiten schafft, wo Menschen sich wirklich begegnen können, dann ist das nichts Neues, sondern etwas, was Kunst oder Kultur oder Kulturarbeit innehaben. Dafür braucht es wahrscheinlich auch keine Utopien.“

„Da gab es kürzlich eine Begegnung“, erzählt Emilia Hagelganz, „wie so ein babylonischer Zustand“, nach einem kleinen Verkehrsunfall. Da stand sie plötzlich einem asiatisch aussehenden, älteren Mann gegenüber, sichtlich verwirrt. Wo wirklich keine, aber auch gar keine Form von Verständigung möglich war. Weder verbal, noch nonverbal, nichts.

Am Ende, nach aller Vergeblichkeit, irgendeine Gemeinsamkeit über's Verstehen herbeizuführen, löst sich die Situation mithilfe der herbeigerufenen Polizei auf. Und es entsteht plötzlich dieses Band, indem „wir uns zum Abschied die Hand gaben.“

Eine Art Common Sense?

„Ja, und ich glaube, das ist wirklich auch unsere Zukunft, wo die Straßen durchflutet sind von solchen ...“

… Unverständlichkeiten?

„Ja, und es trotz allem ganz kleine Momente gibt, einer Sekunde von ...“

… Gemeinsamkeit?

„Ja, und am Ende ist die Frage: Was ist diese Gemeinsamkeit?“

 

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