Hallo, wie geht’s? – Eine Studie zum Thema „Wohlbefinden und Migration“
Hallo, wie geht’s? – Eine Studie zum Thema „Wohlbefinden und Migration“
Als im Oktober 2015 sechzehn junge Wissenschaftler*innen aus dem Ruhrgebiet im Rahmen der Global Young Faculty (ein Mercur Projekt) mit dem Wunsch zusammenkamen, gemeinsam zu einem Thema zu forschen, das für alle relevant ist und auf die hitzigen Diskussionen zur Integration von Migrant*innen und Geflüchteten reagiert, war es zunächst nicht einfach sich zu einigen. Recht schnell jedoch kristallisierte sich dann das Thema „Wohlbefinden“ heraus: Jede/r sehnt sich danach, doch wovon ist dieses Gefühl abhängig, wie entsteht es und wie manifestiert es sich? Ist Wohlbefinden nur ein persönliches Empfinden, oder sind wir als Gesellschaft auch verantwortlich für das Wohlbefinden anderer? Welche Rolle spielt die Migration, das Leben in einer neuen Umgebung und die Umstellung von Gewohnheiten? Wie schätzen Migrant*innen ihr Wohlbefinden ein? Diesen und noch anderen Fragen stellt sich das durch die Arbeit der Wissenschaftler*innen inspirierte Festival „Insel des Guten Lebens“, das vom 20. bis zum 23. April in der Bochumer Hustadt stattfindet und für alle Besucher*innen offen ist.
Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit „Wohlbefinden und Migration“ stellte sich bald heraus, dass das Thema komplex ist und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden muss. Wohlbefinden entsteht an bestimmten Orten, durch bestimmte Situationen, durch zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch durch institutionalisierte Prozesse. Wenn es zum Beispiel um physisches Wohlbefinden geht, stellt sich die Frage, wer guten Zugang zu Ärzt*innen hat und diesen auch nutzt. Ein Blickwinkel, den ich gezielt in den Fokus setzen wollte, war der von Migrant*innen selbst. Ich erinnerte mich dabei an meine eigenen Migrationserfahrungen: 1989 kam ich aus Griechenland mit dem Zug in Duisburg an, und mein Leben änderte sich schlagartig und einschneidend. Als Kind habe ich natürlich nicht konkret über mein „Wohlbefinden“ nachgedacht und die erste Zeit in Deutschland habe ich „einfach“ als eine Lebenserfahrung in einer langen Reihe von Erfahrungen abgespeichert. Durch die Auseinandersetzung mit „Wohlbefinden und Migration“ merkte ich aber, dass ich Anschluss suchte, herausfinden wollte was Leute, die diesen Prozess auch erlebt haben, zu sagen haben. Welche Geschichten können sie erzählen? Würde ich Schnittstellen mit mir fremden Menschen aus dem Ruhrgebiet finden, weil wir irgendwann unsere „Heimat“ verlassen haben?
Mit meiner Kollegin Kristin Behnke entwickelte ich einen Fragebogen, der uns dabei helfen sollte herauszufinden, wie Migrant*innen ihr Wohlbefinden einschätzen. Darunter waren Fragen wie „Was bedeutet Wohlbefinden für Sie?“, „Fühlen Sie sich in Deutschland wohl?“ oder „Bezeichnen Sie Deutschland als Ihr Zuhause?“ Wir konnten 24 Interviews mit Migrant*innen der ersten Generation führen, die im Ruhrgebiet leben. Dabei kamen ganz erstaunliche Ergebnisse heraus, zum Beispiel, dass wir oft gar nicht so genau wissen warum wir uns wohl fühlen. Wir wissen nur, dass wir es entweder tun, oder nicht. Erst bei gezieltem Nachfragen wurde deutlich, dass Wohlbefinden zwar ein Gefühl zu sein scheint, das bei allen (ob mit oder ohne Migrationshintergrund) vor allem durch Familie und Freunde entsteht, es aber auch Besonderheiten gibt, die vielleicht erst auffallen, wenn sie nicht immer überall gegeben sind. Sehr oft wurde die deutsche Sprache als äußerst wichtig für das eigene Wohlbefinden erwähnt. Ohne Deutschkenntnisse, so die meisten Teilnehmer*innen, fühlt man sich nicht akzeptiert, nicht angenommen und im wahrsten Sinne des Wortes nicht verstanden. Erst durch den Spracherwerb und das damit einhergehende Wohlfühlen in der deutschen Sprache stelle sich auch privates und gesellschaftliches Wohlbefinden ein. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines griechischen Vaters, der kein Deutsch sprach als er hierher kam, konnte ich das nachempfinden. Ich stellte aber auch schnell fest, dass meine Geschichte anders ist. Ich hatte zu Hause jemanden, der mir die deutsche Sprache vorlebte, mein neues, deutsches Zuhause „klang“ auch Deutsch; das war bei vielen Teilnehmer*innen nicht gegeben und erschwerte ihr Wohlbefinden. Daraus lassen sich Lehren über die Dringlichkeit von Sprachkursen ziehen, die ich vorher nicht so deutlich antizipiert hatte.
Was wir oft vergessen, ist, dass Wohlbefinden auch eine gesellschaftliche Verantwortung ist. Besonders die weiblichen Teilnehmerinnen berichteten von den Möglichkeiten, die sie als Frauen in Deutschland wahrnehmen können, die es in ihren Heimaten nicht gab. Interessanterweise wurde oft erwähnt, von Teilnehmerinnen und Teilnehmern gleichermaßen, dass, obwohl die Welt an sich immer unsicherer zu werden scheint, in Deutschland eine grundlegende Sicherheit empfunden wird, die zum Wohlbefinden beiträgt. Auch „typisch deutsche“ Charakteristika wurden hier als maßgeblich angegeben: funktionierende Bürokratie, Ordnung und Pünktlichkeit zum Beispiel, die dazu beitragen, dass der Alltag reibungslos funktionieren kann, so einige Interviewpartner*innen. Wir waren überrascht, dass in Zeiten von AfD und einer zunehmenden Ablehnung von allem was „fremd“ zu sein scheint, alle deutlich sagten, dass sie sich hier wohl fühlen. Dennoch scheint das alte Zuhause, das zurückgelassen wurde, ein bedeutender Ort der Verwurzelung zu bleiben. Während Deutschland, oder eher das Ruhrgebiet, für viele „Zuhause“ ist, wird das Land, aus dem man emigriert ist, als „Heimat“ verstanden. Beide Orte können Orte des Wohlbefindens sein, die emotionale Bindung scheint aber nicht dieselbe zu sein. Warum auch? Warum müssen Migrant*innen ihre eigene Herkunft aufgeben, um integriert zu sein? Für unsere Teilnehmer*innen machte das keinen Sinn.
Zu Beginn der Studie war ich zunächst unsicher darüber, wie relevant oder aussagekräftig die individuellen Geschichten von 24 sehr unterschiedlichen Personen sein können. Was ich jetzt weiß, ist, dass jede Geschichte zählt, jede Stimme und jede Erinnerung. Statistiken bieten schöne Zahlen an, aber beim Thema Wohlbefinden kann und soll es nicht um Zahlen gehen, sondern um die Person selbst und was diese zum Wohlbefinden aller beizusteuern kann. Mir haben die Geschichten dabei geholfen zu verstehen, welche Privilegien ich als „Halb-Deutsche“ genießen durfte und darf, und an welchen Stellen meine Biographie als Migrantin mein Leben bereichert und geprägt hat. Die wertvollen Beiträge unserer Teilnehmer*innen werden beim Festival „Insel des guten Lebens“ aufgegriffen und sollen uns durch einen gegenseitigen Austausch dazu inspirieren, unsere Aufmerksamkeit für unser eigenes Wohlbefinden zu steigern.
Wir haben unsere Arbeit mit den Künstler*innen Anna Hentschel, Kerem Halbrecht und Sebastian Quack geteilt, die daraus eine „Insel des Guten Lebens“ entwickelten, um die Wissenschaft in die Stadt, in die Bochumer Hustadt, zu tragen. Inspiriert von unseren Fragestellungen haben sie ein Festival-Programm generiert, das sich durch Workshops, Installationen, Drifts, Vorträge und Gespräche dem Thema „Wohlbefinden und Migration“ nähert. Wir denken diesen Ort als Insel der Möglichkeiten, um praktisch Wohlbefinden zu erforschen, zu hinterfragen und zu erleben. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, uns vom 20.–23. April 2017 auf der „Insel des guten Lebens“ zu begegnen.
Evangelia Kindinger ist Mitglied der Global Young Faculty und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie lehrt dort am Englischen Seminar. Ihr Fachbereich ist American Studies.