HUkultur – Interview mit Matthias Köllmann und Faruk Yildirim über nachhaltige Quartiersarbeit
HUkultur – Interview mit Matthias Köllmann und Faruk Yildirim über nachhaltige Quartiersarbeit
FSL = Fabian Saavedra-Lara
FY = Faruk Yildirim
MK = Matthias Köllmann
Im Rahmen des Projekts Insel des guten Lebens waren Wissenschaftler*innen aus dem Programm Global Young Faculty und die Künstler*innen Kerem Halbrecht, Anna Hentschel und Sebastian Quack bei der Bochumer Initiative HUkultur in Hustadt zu Gast.
Im Interview sprechen Matthias Köllmann und Faruk Yildirim von HUkultur über ihre Arbeit, die Geschichte des Viertels und die aktuelle Situation vor Ort.
FSL: Eine erste Frage: Seit wann seid ihr in der Hustadt aktiv, ihr beiden?
FY: Also aktiv, arbeitstechnisch oder im Arbeitsleben, seit 2013, circa. Erst einmal als Ehrenamtler. Über verschiedene Stellen bin ich dann hier an diesen Job geraten. Was heißt geraten, das war mein Glück. Ich lebe seit '81 hier in der Hustadt, habe meine Kindheit, meine Jugend komplett hier erlebt und begleite den Ort schon seit 35 Jahren mit.
MK: Ich bin seit 2009 in der Hustadt. Man muss dazu sagen, dass dies hier ein Stadtumbaugebiet war von 2008 bis einschließlich 2014. Und in diesem Rahmen wurde immer wieder überlegt, wie man hier Bürgerbeteiligung aufrecht erhalten und was man zur Verstetigung eines solchen Stadtumbauprozesses beitragen kann. Ich habe 2009 hier ein Café eingerichtet, ein Kunstprojekt-Café: das Cafe Hustadt. 2012 hat der Förderverein Hustadt die Trägerschaft des Projekts HUkultur übernommen.
Faruk ist so ein typisches Beispiel, wie man sich über ein Projekt und ehrenamtliche Projektarbeit wirklich auch eine berufliche Perspektive schaffen kann. Ich erinnere mich noch, dass wir anfangs Fußballmannschaften für Street Soccer-Turniere betreut haben, trainiert haben, und darüber ist auch diese Bindung entstanden, also auch schon eine richtige Freundschaft zwischen Faruk und mir. Wir haben jetzt die letzten zwei Jahre das Projekt gemeinsam gewuppt und betreiben den Bürgertreff hier vor Ort. Haben auch einen Auftrag für das Quartiersmanagement von 2014 bis 2017. Faruk ist unser Quartiersmanager, also Angestellter des Fördervereins, genau wie meine Person. Ich leite quasi die Geschäfte und versuche, die Strukturen und damit also die Wirtschaftlichkeit so aufzubauen, dass auch nach Auslauf der städtischen Förderung das Projekt weitergeht. Gerade durch die Situation mit den neuen Flüchtlingen, seit September 2015, hat die Hustadt ja noch einmal ein ganz anderes Standing erreicht: Geflüchtete Menschen der ersten und zweiten Generation, sage ich mal, die in den 1980er/90er Jahren hierhergekommen sind, sind auf einmal die besten Integrationshelfer*innen. Und das zeigt sich hier einfach. Wir haben es jetzt gemeinsam geschafft, mittlerweile acht Personen, einschließlich uns beiden, hier zu beschäftigen. Wir haben drei Frauen in der Küche eingestellt, wir haben drei Quartiershausmeister, und das ist so eine Arbeit, auf die der Förderverein natürlich auch stolz ist. Denn wir kriegen insgesamt auch in diesen drei Jahren von der Stadt Bochum nur eine halbe Stelle finanziert. Alles andere haben wir durch eigene Mittel-Akquise geschafft.
FSL: Also zusammenfassend: Aus dem Bürger-Café ist quasi HUkultur entstanden und wurde dann gefördert vom Förderverein Hustadt. Kann man das so sagen?
MK: Genau. Die Trägerschaft war auch wichtig, denn man braucht für alles, was man auch gemeinnützig, ehrenamtlich macht, Strukturen, damit das dann auch läuft. Das sind wirklich so Erfahrungsprozesse hier gewesen. Aus einem normalen Café ist wirklich der Bürgertreff geworden, und Partizipation ist einfach die größte Stärke, denke ich, die wir hier in der Hustadt haben. Sobald man hier eine Werkzeugkiste auf den Platz stellt, kommen aus allen Himmelsrichtungen die Kinder angestürmt und sie freuen sich, dass hier wieder was Kulturelles oder was auch immer stattfindet.
FSL: Könnt ihr vielleicht in ein paar Sätzen zusammenfassen, was die Aufgaben und Ziele von HUkultur sind? Es gibt also die Bürger*innenplattfom mit Treff. Was macht ihr darüber hinaus?
MK: Wir machen hier das Quartiersmanagement und betreiben das Quartiersbüro. Über den Bürgertreff organisieren wir Kulturprogramm, gehen damit auch nach draußen. Es geht auch viel um Marketing – dass man den Stadtteil wirklich positiv darstellt, erstmal von innen her stärkt, und dann auch positiv über die Quartiersgrenzen hinaus trägt. Ich denke, das ist unsere Kernaufgabe.
FSL: Wir sind hier ja in einem Stadtteil, der sehr geprägt ist durch seine modernistische 1960/70er Jahre-Architektur – also eine Vorstellung vom guten Wohnen, vom guten Leben damals. Was sich vielleicht auch ein bisschen davon unterscheidet, wie man heute über Architektur und Raum nachdenkt, gerade über Wohnraum. Könntet ihr vor diesem Hintergrund vielleicht ein bisschen was erzählen über die Geschichte dieses Stadtteils?
MK: Die Hustadt wurde Ende der 60er Jahre erbaut und als Universitätsrahmenstadt geplant. Kurz davor wurde ja die Ruhr-Universität Bochum gebaut, die 500 Meter Luftlinie von hier liegt. Unter dem Motto "Urbanität durch Dichte" sollte möglichst viel Wohnraum für Universitäts-Bedienstete, für Studierende geschaffen werden. In diesen Hochhäusern gibt es unheimlich große Wohnungen, was auch heute ein großes Plus ist. Hier haben viele Wohnungen 120 Quadratmeter, 140 Quadratmeter, und Ende der 60er Jahre wurden diese Wohnungen hauptsächlich von Dozenten bezogen und auch von Studierenden. Im Rahmen des Strukturwandels gab es irgendwann in den 80er Jahren die Eigenheimzulage. Da sind dann ganz viele Professoren weggezogen, haben sich eigene Häuser zugelegt. Und durch den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland ist es einfach so, dass der Bestand dann zu Sozialwohnungen umgeschrieben worden ist, fast alle Wohnungen hier. Im Laufe der Zeit sind ganz viele Menschen mit Migrationsgeschichte zugezogen. Die Wohnungen hier bekommt man nur, wenn man einen Wohnberechtigungsschein hat. 2009, als ich hierhin gekommen bin, gab es einen Leerstand von knapp über 10 Prozent, also dass wirklich jede zehnte Wohnung nicht bezogen war. Zwei Jahre später, und das hat gar nichts mit der aktuellen Flüchtlingssituation zu tun, hatten wir eine Vollbelegung, und das hält bis heute an. Das Wohnen, denke ich, hat sich hier super positiv entwickelt, weil auch viele Familien mit einer hohen Kinderzahl hier die Möglichkeit haben, in einer Wohnung zusammenzuleben. Solche Wohnmöglichkeiten hat man woanders in Bochum kaum. Dass man da mal eine Wohnung über 100 Quadratmeter findet, ist fast unmöglich. Seit 2009 wurden die ganzen Wohnungen saniert. Die VBW Bauen und Wohnen ist Haupteigentümer, und die haben die Hausfassaden saniert, haben auch die Balkone farblich gestaltet. Das große Thema, auch beim Stadtumbau, war Partizipation – wie kriegt man die Leute beteiligt, die hier wohnen – und da hat auch das Stadtumbaumanagement gemerkt, wie schwierig es ist, wenn man immer nur temporär an so einem Ort ist. Da braucht man Multiplikatoren. Und das sind dann solche Menschen wie Faruk, die hier aufgewachsen sind, die eine Bindung zur Nachbarschaft haben, aber sich gleichzeitig auch mit Entscheidungsträgern der Stadt auseinandersetzen können.
FSL: Welche Communities leben hier zusammen? Vielleicht könntet ihr das nochmal ein bisschen spezifizieren.
FY: Es gibt laut Statistiken von den Wohnungsvermietern oder der städtischen Stelle circa 50 Nationalitäten. Was jetzt noch Abzweigungen hat: Ein Syrer ist nicht gleich ein Syrer, könnte auch ein Kurde sein oder irgendwoanders her stammen. Es leben hier Menschen aus ca. 50 Nationen miteinander, aber inoffiziell sind es dann auf jeden Fall mehr Kulturkreise. Die Community ist überwiegend kurdisch und arabisch. Dann kommen Afghanen, Perser, Russen, Mexikaner, Spanier, Chilenen. Es ist ein sehr vielfältiger Ort, auch Menschen aus Kongo, aus Ghana, aus weiteren afrikanischen Ländern leben hier. Für mich ist das Normalität. Für mich ist es ein super schöner Ort, und ich sehe auch den Zusammenhalt der Bevölkerung, weil hier so viele Menschen wohnen, die ein gemeinsames Schicksal hinter sich haben, z.B. aufgrund von Kriegen, und das verbindet einen. Und durch die Netzwerke, die jetzt vorhanden sind, wird man schneller hier integriert.
MK: Das ist ja auch das Sensationelle. Wenn man die Tagesschau einschaltet, dann macht das gerade ja gar keinen Spaß. Wenn man die Konflikte zwischen Kurden und Arabern sieht, in Syrien z.B.. Und dann treffen sich hier auf einmal Araber und Kurden und, wie soll ich sagen, die Disharmonien sind schon teilweise deutlich zu spüren, auch in Diskussionen. Aber das Krasse ist, wenn dann mal was von außen kommt, also wenn die Hustadt angegriffen wird, dann halten auf einmal Araber, Kurden, Afghanen, Vietnamesen alle zusammen, und dann ist das halt "unsere Hustadt".
Der Fußballverein, den Faruk vor drei Jahren gegründet hat, der CF Kurdistan, trägt schon Kurdistan im Namen, aber da waren trotzdem Palästinenser, Afghanen und Araber, die dort mitgespielt haben. Es ist eine integrative Kraft, die man aus so einem multikulturellen Ort ziehen kann. Ich denke, das bietet auch ganz viele Lösungsansätze für die aktuelle Flüchtlingssituation. Es auch unsere Hauptaufgabe, das weiter zu transportieren und zu sagen: Hey, wir sind hier kein Ghetto. Das hier ist ein Ort, der zeigt, wie Integration funktioniert und wie 50 verschiedene Nationalitäten friedlich nebeneinander leben können. Es geht nicht immer miteinander, aber dieses friedliche Nebeneinander – wenn man das auf der Welt irgendwie multiplizieren könnte, wäre das ja schon ein Traum.
FSL: Du hast gerade von Partizipation und Teilhabe gesprochen. Wie funktioniert denn aus eurer Sicht eure Zusammenarbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern hier in Hustadt, in euren Projekten und hier in HUkultur?
MK: Das ist das Geschenk, das mich in der Hustadt auch so fesselt und hält und fasziniert. Die Beteiligung – das ist sensationell. Über Faruk und alle weiteren Mitarbeiter*innen schaffen wir eine breite Partizipation. Wir kommen an Akademiker genauso ran wie an Kurden, Türken, Araber. Das ist für mich das größte Geschenk, seit ich in der Hustadt bin: Wie die Menschen zu uns sind.
FSL: Wie finanziert ihr euch? Wie finanziert sich HUkultur?
MK: Von der Hand in den Mund. Der Verein ist komplett ehrenamtlich getragen. Wir haben jetzt von 2014 bis Ende diesen Jahres den Auftrag von der Stadt Bochum für das Quartiersmanagement. Das ist die Verstetigungsphase des Stadtumbaus. Leider werden für solche Arbeiten in keiner Kommune Gelder zur Verfügung gestellt, sodass man so eine Arbeit auch wirklich nachhaltig fortführen kann. Wobei wir dahingehend auf Verwaltungsebene und politischer Ebene schon große Schritte machen konnten. So wurde auf den Weg gebracht, dass mindestens eine halbe Stelle im Quartiersmanagement weiter finanziert wird. Gemeinsames Ziel ist, durch den Aufbau eines Sozialunternehmens die gemeinnützige Arbeit zu tragen. Wir machen hier orientalisches Catering, haben drei Frauen schon beschäftigt, verkaufen unser Essen mobil, auf Wochenmärkten, Kulturveranstaltungen. Es ist noch nie gelungen, ein Stadtumbaugebiet zu verstetigen, und wir werden das erste sein.
FSL: Ihr habt auch schon Erfahrungen mit verschiedenen Kunstprojekten gemacht, mit Künstlerinnen und Künstlern, die hier bei euch zu Gast waren und Projekte gemacht haben. Wie beurteilt ihr das – was war positiv, was war vielleicht negativ? Und welchen Nutzen kann das vielleicht auch haben für eure Arbeit oder für das Zusammenleben im Quartier?
MK: Während des Stadtumbauprozesses wurde hier eine Artist in Residence engagiert. Das war damals Apolonija Sustersic, eine slowenische Künstlerin, die in England, Holland und weltweit unterwegs war und viele verschiedene Partizipationsprojekte gemacht hat. Und ich muss schon sagen, dieses Kunstprojekt hat mich wirklich in der Hustadt gefangen. Ich war damals ein wichtiger Helfer für die Künstlerin, weil mir Partizipation liegt. Also ich schaffe es irgendwie, die Leute mitzunehmen. Ich bin damals auch kritisch mit diesem Kunstprojekt umgegangen, weil ich es für ganz schwierig erachte, dass man temporär was macht und das unabgeschlossen beendet. Es ist manchmal auch gefährlich, denn man kann schnell Hoffnungen bei der Nachbarschaft wecken und diese dann enttäuschen, wenn das so abrupt beendet wird. Aber nichts desto weniger, finde ich, sind Kunst und Kultur der wichtigste Schlüssel, um überhaupt das ganze Thema eines solchen multikulturellen Quartiers nach außen zu tragen. Das hat auch viel mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun. Es kommt ja keine Presse, wenn wir hier ein nachbarschaftliches Kaffeetrinken organisieren, aber wenn da eine Künstlerin oder ein Künstler kommt, kommt auch die Presse, und dann hat man die Möglichkeit, über sein Quartier zu berichten. Und allein dafür ist das schon total wertvoll.
FSL: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für eure weitere Arbeit!
--
Faruk Yildirim (geb. 30.01.1974) ist Quartiersmanager der Bochumer Hustadt (Stadtteil Querenburg) und Einrichtungsleiter des Bürgertreffs HUkultur. Als Kind der Hustadt kennt er das Quartier und seine Menschen – eine Nachbarschaft, die sich aus über 50 verschiedenen Herkunftsländern zusammensetzt. Faruk Yildirim ist ein wichtiger Multiplikator in der partizipativen Quartiersarbeit des Fördervereins Hustadt e.V.
Matthias Köllmann (geb. 16.12.1971) ist Kulturmanager und Geschäftsführer des Bürgertreffs HUkultur in der Hustadt. Er hat das cafeHUstadt in Partizipation mit Hustädter*innen und Künstler*innen konzipiert und realisiert sowie das Grundkonzept von HUkultur als soziokultureller Treff erarbeitet. Als kreativwirtschaftliche Person setzt er die Planungen zum Betrieb eines Sozialunternehmens im Bereich multikulturelles Catering um, welches nachhaltig die gemeinnützige Quartiersarbeit des Fördervereins Hustadt e.V. tragen wird.