Oberhaus: Das kreative Hochhaus Oberhausen
Oberhaus: Das kreative Hochhaus Oberhausen
Das Hochhaus schräg gegenüber dem Oberhausener Hauptbahnhof macht aus der Ferne einen wehrhaften Eindruck, mit den vielen kleinen Fenstern und Balkonen, die wie Schießscharten wirken. Der verklinkerte Bau erhebt sich an einer großen Straßenkreuzung hinter einem Subway-Imbiss mit großer Leuchtreklame und angeschlossener KFZ-Werkstatt, und so könnte das Haus auch als Motel für Fernfahrer an einer beliebigen Autobahnraststätte stehen.
Das Klingelbrett zeigt bis zu 82 Mietparteien an, die sich auf 12 Etagen verteilen. Die Namen der Bewohner klingen in verschiedensten Sprachen und lassen auf unterschiedliche Lebenswege schließen: Jenkowsky, Hasan, Schmidt, Yildirim, Ndembwe. Viele Namensschilder sind abgerissen und provisorisch überklebt. Das Klingelbrett gleicht einer Pinnwand, auf der ständig neue Notizen hinzukommen. Für viele stellt das Haus nur eine vorübergehende Bleibe dar. Einige der Plätze sind leer. Nicht alle Appartements scheinen also bewohnt zu sein.
Die Tür ist offen. Im Eingangsbereich sitzt eine Gruppe von Hundebesitzern mit Bierflaschen und grüßt mit verhalten skeptischem Blick, aber freundlich im Chor: „Mahlzeit!“ Im Treppenhaus gedämpftes Licht, das durch Glasbausteine fällt. Die Schuhe kleben auf der Treppe, und hier und da liegt etwas Müll herum. Das schlanke Treppengeländer und die geriffelten Glasscheiben der Trenntüren auf den einzelnen Etagen verströmen den modrigen Charme der späten 1950er Jahre.
Bauten dieser Art waren im Wiederaufbau nach dem Krieg kostengünstig, aber auch als soziale Wohnform konzipiert. Das zeigen die großflächigen Eingangsbereiche auf den Etagen, von denen die Gänge abzweigen, an denen die kleinen Wohnungen liegen. Die durch Buntglasscheiben farbig beleuchteten Foyers bieten sich als Kommunikationsorte an und suggerieren die Möglichkeit einer aktiven Hausgemeinschaft. Jedes Stockwerk ist mit einem eigenen Signet gekennzeichnet: geometrische Formen, eine Katze, ein Segelboot u.a..
Dagegen steht die Anonymität, die in vielen solcher Hochhäuser herrscht. Das liegt nicht nur an der Serialität der Wohnform und der hohen Fluktuation der Mieter. Je näher man sich räumlich auf die Pelle rückt, desto wichtiger wird bekanntlich die Abgrenzung der eigenen Privatsphäre. Auf den Fluren ist niemand zu sehen. Manche Wohnungstüren weisen Einbruchspuren auf, einige sind mehrfach, andere einfach verriegelt. Ein Appartement ist vollständig ausgebrannt. Der Zustand des Hauses ist ein beispielhaftes Bild des Scheiterns von Vergesellschaftung, und der Verwahrlosung des öffentlichen Raums.
Eine junge Bewohnerin berichtet, sie lebe erst seit kurzem hier und kenne fast niemanden. Sie habe bisher keine Probleme mit ihren Nachbarn, sei aber schon mehrfach im Fahrstuhl stecken geblieben. Ein junger Mieter arabischer Herkunft ist erstaunt, dass sich Künstler und Kreative für das Haus interessieren. Die Bewohner seien nicht alle einfach, deutet er an, und es mangele vielen an der nötigen Sauberkeit. Die Missstände liegen auf der Hand. Interessanter als der Blick auf die Defizite ist aber die Frage nach den Ressourcen und dem kreativen Potenzial, das sich im Haus verbirgt.
Was brauchen Menschen, um vor die eigene Tür zu gehen, den öffentlichen Raum zu beanspruchen und sich im unmittelbaren Umfeld zu engagieren? Anlass und Gelegenheiten dazu gibt es reichlich, doch sie werden oft nicht als solche wahrgenommen. Man fühlt sich nicht angesprochen, nicht zuständig, ist es nicht gewohnt, sich einzumischen. Wohl gibt es das Bedürfnis, eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen, doch es fehlen schlicht die Erfahrungen und Erfolgserlebnisse mit einer Öffentlichkeit, in der der eigene Beitrag wertgeschätzt wird. Die Einladung der Künstler, sich kreativ am Umbau des Leerstands im Haus zu beteiligen, wird also für viele eine ungewohnte Situation darstellen.
Ab September 2016 werden mehrere Wohnungstüren im Hochhaus offen stehen. Die Künstlervereinigung Kultur im Turm e.V. (kitev), die seit 2011 bereits Teile des Wasserturms am Hauptbahnhof umgebaut und in ein alternatives Kulturzentrum verwandelt hat, will sie auf Einladung der Wohnbaugesellschaft Vonovia zusammen mit Schülern, Flüchtlingen und anderen engagierten Oberhausener Bürgern renovieren und einer neuen Nutzung zuführen. Das Ladenlokal im Erdgeschoss wird offene Werkstatt und Veranstaltungsort, wo man sich trifft und ungezwungen austauschen kann. Jeder ist eingeladen, die neu eröffneten Freiräume kreativ zu nutzen und mitzugestalten. In einem ersten Workshop nach dem Motto „hands on! Wir reparieren ein Hochhaus“ in Kooperation mit StadtBauKultur NRW wurden bereits zahlreiche Ideen gesammelt.
Die kulturelle Vielfalt der Akteure, wie auch der Hausbewohner kann als Herausforderung, aber auch als besondere Chance begriffen werden, wie praktische Beispiele aus vielen Städten Europas belegen. Unter dem Titel „Refugees for Co-Creative Cities“ hat kitev ein internationales Netzwerk aufgebaut, das sich vom 7. Bis 9. September zu einem Co-Creation-Forum in Oberhausen zusammenfindet. Die Veranstaltung in Kooperation mit Interkultur Ruhr will neue Wege aufzeigen, wie alternative Bauprojekte Leerstände wiederbeleben, die Wohnsituation von Flüchtlingen verbessern, den interkulturellen Dialog fördern und zur Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen beitragen können. Das Hochhaus als Fallstudie in Oberhausen wird von diesem Ideen- und Erfahrungsaustausch sicher profitieren.
Aktuelles im Oberhaus-Blog: ccc.kitev.de