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Zur Entstehung der "Insel des guten Lebens". Interview mit Sebastian Quack

Erkundung der Hustadt

Zur Entstehung der "Insel des guten Lebens". Interview mit Sebastian Quack

von: 
Fabian Saavedra-Lara

FSL = Fabian Saavedra-Lara
SQ = Sebastian Quack

Das Festival INSEL DES GUTEN LEBENS findet vom 20. – 23. April 2017 in Bochum-Querenburg statt (Hustadt & Uni-Center). Es entsteht aus der Zusammenarbeit junger Wissenschaftler*innen aus dem Ruhrgebiet, die im Rahmen des Programms Global Young Faculty über den Zusammenhang von Wohlbefinden und Migration aus verschiedenen Blickwinkeln geforscht haben, mit den Künstler*innen Kerem Halbrecht, Anna Hentschel und Sebastian Quack.

Die künstlerische Umsetzung der Forschungsprojekte findet Ausdruck in der „Insel des guten Lebens – Festival für Migration und Wohlbefinden“, die allen Besucher*innen an vier Tagen offen steht. Bewohner*innen und Gäste erwartet ein spielerisches Festivalformat u. a. mit Koch-, Tanz- oder Zauberworkshops, Installationen, geführten Inselrundgängen, Vorträgen und Gesprächen. Das Festival im urbanen Raum soll die „Insel des guten Lebens“ mit Nachdenklichkeit und Entdeckungsfreude erlebbar machen.
 
Das Festivalzentrum befindet sich am Brunnenplatz in der Bochumer Hustadt, Stadtteil Querenburg. Die von Verkehr und Wald umschlossene, utopische Stadtlandschaft mit der zu Beginn der 1960er Jahre erbauten Hustadt-Siedlung und dem 1973 hinzugekommenen Einkaufs- und Wohnzentrum Uni-Center ist über die Jahre für Menschen mit den verschiedensten Hintergründen zum Zuhause geworden. Der Stadtteil passt sich den wechselnden Konstellationen laufend an – ein spannender Ort für eine ungewöhnliche Kooperation zwischen Stadtgesellschaft, Kunst, Architektur und Wissenschaft.

Im Interview erzählt der Künstler und Spieledesigner Sebastian Quack über den Arbeitsprozess vor Ort in Hustadt, beleuchtet verschiedene Formate, die Teil des Festivals sein werden, und erläutert einige der Gedanken und Fragen, die sich daraus ergeben haben.

FSL: Vielleicht fangen wir einfach an, indem du dich kurz einmal vorstellst.

SQ: Genau, ich heiße Sebastian Quack. Ich bin Spieleentwickler, Künstler, manchmal kuratiere ich Events und arbeite jetzt bei 'Insel des guten Lebens' zusammen mit Anna Hentschel, sie ist urbane Szenografin, und Kerem Halbrecht, der ist Architekt und macht große Echtzeit-Architektur-Events. Das Ganze ist ein für uns sehr spannendes Kooperationsprojekt; auf der einen Seite in den Stadtteil hinein, in Hustadt und Querenburg im weiteren Sinne. Da arbeiten wir zusammen mit dem Treff HUkultur und den verschiedenen sozialen Einrichtungen, die es hier im Stadtteil gibt. Aber Ausgangspunkt des Projekts ist die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftspartnern der Global Young Faculty und darin mit einer Gruppe, die den Zusammenhang von Migration und Wohlbefinden von verschiedenen wissenschaftlichen Seiten her untersucht.

Ich hatte mal ein Seminar, das hieß "Trans-Cross-Inter". Da ging es um diese Idee, sozusagen zwischen allen Stühlen zu gehen oder über alle Stühle hinweg, und das ist eigentlich ein super Beispiel dafür. Weil es einerseits diese Gruppe von Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachrichtungen von Philosophie über Biologie und Soziologie bis hin zur Psychologie gibt. Andererseits gibt es natürlich Interkultur Ruhr und Urbane Künste Ruhr als Kulturorganisationen. Dann gibt es hier die ganz verschiedenen Leute im Stadtteil, insgesamt also Kunst und Gesellschaft und Wissenschaft. Das ist einfach ein Riesenspannungsfeld, in dem wir hier sind.

FSL: Und was habt ihr hier vor? Also wie funktioniert euer Arbeitsprozess in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern auf der einen Seite, also mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, und dann aber auch eben ganz konkret hier vor Ort? Ihr wart ja jetzt auch öfter hier, im Vorfeld der Veranstaltung. Was habt ihr vor? Was tut ihr genau?

SQ: Das ist etwas, das mich als Spieleentwickler sehr interessiert, nämlich die Herstellung von Plattformen oder Räumen, die eine neue Art von Kommunikation ermöglichen, und zwar temporär. Das heißt, mit „„Insel des guten Lebens“ denken wir uns ein Festival, das plötzlich einen Austausch und eine Interaktion zwischen diesen verschiedenen Gruppen ermöglicht, nämlich einmal den verschiedenen Leuten hier im Stadtteil, dem weiteren Wissenschafts- oder wissenschaftsinteressierten Publikum und eben einem kulturell oder kunstinteressierten Publikum. Und um das herzustellen, müssen wir eben jeweils in diese Richtungen arbeiten. Das heißt, es gibt einen Strang von Aktivitäten hier im Stadtteil. Das ist auch das, was wir jetzt gerade am meisten machen. Wir gehen den Spuren nach: Was gibt es hier für Leute, was gibt es bereits für Aktivitäten, die mit bestimmten Aspekten des guten Lebens schon ganz eng zu tun haben? Zum Beispiel, was gibt es für Aktivitäten rund ums Essen, rund um Crafting. Nähen zum Beispiel ist ein Thema, rund ums Tanzen, aber auch rund um Architektur und Renovierung, Umwandlung von Räumen, sodass sie eben den Bedürfnissen der Nutzer*innen entsprechen und dass man sich da wohl fühlt. Und das ist hier besonders interessant, weil es Leute mit ganz verschiedenen Geschichten sind, die den Raum nutzen.

FSL: Also die Hustadt ist in eurer Erzählung die „„Insel des guten Lebens“?

SQ: Nein, das ist eine Frage. Ich glaube, dass die „„Insel des guten Lebens“ erstmal eine Art Fiktion für uns ist; dass es eben genau das ist, was sich dann an diesen vier Tagen einstellt oder auch nicht. Es ist erstmal eine Behauptung, dass es so etwas gibt, dass es einen Raum gibt, wo sich alle treffen und sich über das gute Leben austauschen. Es ist ja auch erstmal gar nicht so klar, ob das funktionieren würde oder ob man sich überhaupt da austauschen will und kann. Gleichzeitig gibt es auch hier im Stadtteil immer wieder eine Interpretation oder eine Geschichte von Meinungen darüber, wie man das bewerten kann, das Leben hier. Also sozusagen von einem gefährlichen Ort, der Endhaltestelle der U-Bahnlinie Hustadt, wo man dann nie war, aber irgendwie Angst hat, hinzufahren zum Beispiel, hin zu so einem Vorzeigestadtteil, wo Integration bestens klappt und es gar keine Probleme mehr gibt. Da gibt es dann alle möglichen Bilder von so einem Ort, und das ist auch architektonisch einfach super interessant, weil das eben auch sehr insular angelegt ist mit dem Wald und der Bahn, das ist schon abgekapselt und lässt sich auch architektonisch als Insel betrachten. Aber wir würden nie sagen, das ist jetzt so.

FSL: Die Insel ist also ein Bild, auf das wir hinsteuern, was wir aber nie erreichen, zu dem wir aber hinwollen?

SQ: Ja, es ist ja auch wirklich die Frage, ob Wohlbefinden oder das gute Leben oder ein gelingendes Leben überhaupt an einem Ort zu finden ist. Ich glaube, das ist einfach auch das, was wir da auf die Spitze treiben. Ist Wohlbefinden nicht eher etwas, das sich zum Beispiel sozial einstellt oder an jedem Ort realisierbar wäre? Ist die Insel vielleicht eher etwas, das aus Beziehungen besteht oder aus temporären Arrangements oder aus Lösungen, die man gefunden hat aus dem Wissen, dass man anderswo hergekommen ist. Und vielleicht sind Inseln eben auch Orte, die man dann immer wieder auch verlassen muss. Wenn man jetzt z. B. über Klimawandel nachdenkt, sind das ja eben genau Orte der Sehnsucht, aber auch Orte eines irgendwie prekären Zwischenzustands, die als Ort des guten Lebens gar nicht haltbar sind. Diese Art von Bewegungen ist für uns interessant.

FSL: Vielleicht noch einmal konkret: Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, also gibt es da einen Wissenstransfer? Was macht ihr mit den Forschungsergebnissen? Wie fließt das in das Projekt ein, zum Beispiel?

SQ: Das geht in zwei Richtungen. Die eine Richtung ist die, dass uns überhaupt Konferenzen und Symposiums-Formate als Designer von Events oder von Spielen interessieren. Wie kann man überhaupt so eine Art von Symposium gestalten? Die erste Entscheidung ist gewesen zu sagen: Wir gehen in einen Stadtteil und nicht in einen abgeschlossenen Veranstaltungsraum. Wie kann man die Bedürfnisse, die ein wissenschaftlicher Diskurs hat – zum Beispiel Ruhe oder eine Möglichkeit von Präsentation, Darstellung von Medien, Möglichkeiten, Fragen zu stellen, Übersetzungen – mit Stadtteilarbeit oder mit innovativen künstlerischen Formaten verbinden? Das heißt, es gibt auf dieser Formatebene einen Austausch, und dann gibt es natürlich einen inhaltlichen Austausch. Wir gehen in der Wohlbefinden- und Migrationsgruppe innerhalb der Global Young Faculty Partnerschaften mit den einzelnen Untergruppen ein. Es gibt zum Beispiel eine Untergruppe, die sich mit der Architektur und der Nutzung von Parks in verschiedenen Städten auseinandersetzt. Wer nutzt überhaupt Parks wie? Parks sind ja für uns interessanterweise auch „Inseln des guten Lebens“ in einer beschäftigten Stadt, Oasen der Ruhe. Wir überlegen dann zusammen, wie man die Pläne, wie man die Analysen, die die Wissenschaftler*innen gemacht haben, hier auch noch mal vermitteln kann, an Orten, in Spielformaten, in Gesprächsformaten.

FSL: Vielleicht noch als Anschlussfrage, dann auf dieser anderen Ebene: Ihr seid ja eben auch vor der Veranstaltung öfter hier vor Ort gewesen und arbeitet mit Menschen in Hustadt zusammen. Könntest du Beispiele geben für Aktivitäten, die ihr gemeinsam lanciert oder Fragen, die ihr stellt, Prozesse, die ihr initiiert?

SQ: Auf der einen Seite machen wir quasi Vorstellungen, Vorschläge und versuchen rauszufinden: Wie kommt das an? Eine Idee ist zum Beispiel eine Video-Installation zu machen auf dieser schon in einem Community-Projekt entstandenen Freiluftkino-Anlage, die hier auf dem Brunnenplatz installiert ist, und wir überlegen uns eine Fortführung, eine Nutzung im Rahmen des Festivals als so eine Art Familienvideo-Loop, der in der Dunkelheit läuft. Wir suchen nach alten VHS-Kassetten, Super-Acht-Filmen, DVDs: Was gibt es an alten Familienvideos, die einerseits eine Vergangenheit hier in der Hustadt zeigen, aber eben auch eine Vergangenheit aus anderen Orten, anderen Städten, Dörfern, wo Leute herkommen, die hierhergekommen sind, und bauen daraus eine Art Erinnerungs-Nostalgie-Loop zusammen. Das ist zum Beispiel ein Format, bei dem wir eher herum gehen, das erklären und fragen, findet ihr das gut? Und dann fangen Leute an zu erzählen: "Ja, klar, da hatte ich doch was. Oder den könntet ihr noch fragen!", und so weiter. Das ist so eine Richtung.

Die andere Richtung ist zu schauen, was gibt es für Wünsche, was passieren für Aktivitäten? Zum Beispiel haben wir heute gerade in Gesprächen herausgefunden, dass es immer wieder Versuche gibt, Tanzkurse zu etablieren. Dass es Leute gibt, die gerne anderen Tanzen beibringen möchten in einem von den Treffs, die es hier gibt. Und da überlegen wir gerade, kann man eine Art Tanzstrang in das Festival einbauen? Einerseits arbeiten wir mit dem, was Leute sich hier wünschen, verbinden es aber auch mit verschiedenen Tänzen aus verschiedenen Kulturen, die hier vertreten sind. Da ergeben sich ganz spannende Fragen: Wer traut sich überhaupt im öffentlichen Raum wie in Erscheinung zu treten? Es gibt auch Fragen von Geschlechtertrennung bei den Tänzen. Wie geht man damit um? Bricht man das? Setzt man so eine Art Mosaik zusammen? Das sind alles spannende Fragen, die aus dem Prozess entstehen.

FSL: Und auch von Bewohnerinnen und Bewohnern herauszufinden, welche Strategien sie selber einsetzen für’s gute Leben oder für ein Gelingen des Lebens hier in der Community?

SQ: Genau, das ist eine wichtige Frage. Es ist aber nicht immer leicht, da heran zu kommen. Wir merken, dass das doch einfach immer wieder sehr persönliche Sachen sind, dass man erstmal einfach Kontakte geknüpft und Vertrauen aufgebaut haben muss, um überhaupt darüber reden zu können. Das ist auch ganz interessant, dass es manchmal schwieriger ist über etwas zu reden, was offensichtlich für einen gut ist, in den üblichen Interaktionsformen. Das Wissen über Wohlbefinden ist etwas, das auf irgendeine Weise individuell verankert sein muss. Und da ranzukommen, das ist in vielen Fällen sehr schwierig, das macht es aber gleichzeitig auch sehr interessant. Wenn sich dann Leute darüber austauschen, dann wird es sehr spannend.

FSL: Vielleicht zwei abschließende Fragen: Eine Frage: Also ich glaube, ihr kanntet die Hustadt vorher nicht, ihr drei, oder? Wie erlebt ihr das Viertel? Was ist euer Eindruck hier?

SQ: Der erste Eindruck ist einfach, dass es sehr positiv und angenehm und ruhig ist. Man beobachtet viele freundliche Interaktionen, finde ich, und das hängt auch mit der tollen Arbeit der ganzen Vereine und Organisationen zusammen, die es hier gibt. Gleichzeitig ist natürlich einfach die Verkehrsarmut hier super. Es gibt also erstmal ein Gefühl von hoher Lebensqualität, finde ich, das hier sehr stark ist. Was ich dann aber einfach in der Raumstruktur interessant finde, ist auch diese Spannung zwischen Uni-Center und Hustadt. Das ist fast ein bisschen so wie das Urbane und das Dörfliche, das auf engem Raum nebeneinander existiert. Und mich interessiert, das zusammenzudenken und wie sich das aufeinander bezieht.
 
FSL: Meine letzte Frage, wie erlebt ihr die Zusammenarbeit – wir haben ihn ja auch interviewt [Gespräch erscheint in den kommenden Tagen, Anm. d. Red.] – mit Matthias Köllmann, Faruk Yildirim und HUkultur?

SL: Das ist super angenehm. Das ist eine Partnerschaft, die für uns einfach essentiell ist, um überhaupt zu verstehen, wie so ein Stadtteil funktioniert. Das ist dann natürlich eine bestimmte Perspektive, die wir dadurch bekommen. Da gibt es ganz große Gastfreundschaft und es gibt aber auch parallele Interessen. Wenn es zum Beispiel schon länger Bestrebungen gibt, einen Container für ein Programm mit Jugendlichen zu renovieren, kann man das eben in so ein Festival einbauen. Es gibt so eine Art Mischung aus einem ganz herzlichen Miteinander, aber auch einfach einer Professionalität, Schnittmengen zu finden für Sachen, die sich auch wirklich umsetzen lassen und die für alle nützlich sind. Also dass man nicht nur nett miteinander redet, sondern auch Sachen umsetzt, und da sind Matthias und Faruk, finde ich, sehr gut drin.

FSL: Vielen Dank und viel Erfolg für das Projekt!

Zur Veranstaltung: Insel des guten Lebens – Festival für Migration und Wohlbefinden

Sebastian Quack ist Künstler, Spiele-Entwickler und Kurator an der Schnittstelle von Spiel, Partizipation und urbaner Gesellschaft. Er ist Mitbegründer der Künstlergruppe Invisible Playground und kuratiert Playpublik, ein internationales Festival für Spielräume der Öffentlichkeit. Aktuelle Initiativen sind Playful Commons und Drift Club. Sebastian Quacks Arbeit ist prozessorientiert und kollaborativ. Er unterrichtet regelmäßig, hält Vorträge und berät Organisationen, wie sie spielerisch mit ihrer Umwelt in Kontakt treten können.

„Insel des guten Lebens“ ist eine Zusammenarbeit der Global Young Faculty mit den Künstler*innen Kerem Halbrecht, Anna Hentschel, Sebastian Quack und HUkultur. Das Projekt wird gefördert vom Mercator Research Center Ruhr und koproduziert durch Urbane Künste Ruhr und Interkultur Ruhr.

Arbeitstreffen bei HUkultur
Fabian Saavedra-Lara im Gespräch mit Anna Hentschel und Sebastian Quack
Anna Hentschel und Sebastian Quack im Gespräch mit Matthias Köllmann
Anna Hentschel, Sebastian Quack und Fabian Saavedra-Lara bei HUkultur
Sebastian Quack und Anna Hentschel am "Strand"
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