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Brauchse Jobb? Wir machen Kunst! – Wer kommt?

Brauchse Jobb? Wir machen Kunst! – Wer kommt?

von: 
Thomas Lehmen

„Oberhausen lieben heißt, ich mache alles für meine Stadt, sogar Kunst!“

Aus dem Tagebuch der ersten Woche: Wer kommt?

2017 gründete Thomas Lehmen ausgehend vom Projekt “Brauchse Jobb? Wir machen Kunst” die Kunstwohnung in der Oberhausener Gustavstraße. In diesem Jahr richtet der kleine Betrieb, in dem Arbeitssuchende zu bezahlten Kunstarbeiter*innen werden, eine temporäre Dependance in der Innenstadt von Alt-Oberhausen ein. Thomas Lehmen berichtet, wen man dort so trifft. Im Herbst wird es eine Präsentation der entstandenen Arbeiten in der Kunstwohnung Gustavstraße zu erfahren geben.

Z.B. der ehemalige Fotograf: ... habe nur analog gearbeitet ... dann ein wenig digital ..., ... so viel vergessen ... . Beim Anblick der großformatigen Ausdrucke des Projektes vom letzten Jahr an den Wänden der „Kunst-Bude“ gerät er in Dissonanz. Portraits möge er nicht: ... diese Menschen dort ... immer diese Menschen ... . Jedes Bild an der Wand ruft Erinnerungen in ihm hervor, die seine Augen hinter der mannigfaltig reparierten Brille aufblitzen lassen. Durch die Gläser seiner Brille hindurch, durch den Geruch seiner Kleidung hindurch, durch das Bild hindurch, das er selbst abgibt mit seinem weißen schütteren Haar dringt allmählich Fachwissen über Farben, Pixel, Kameratypen und eine Ahnung seiner inneren Bilderwelt in den Raum. Er habe aber keine eigenen Bilder mehr, alles sei verschwunden. Schon will ich ihm anbieten, für ihn eine Kamera zu besorgen, doch den Anblick der Kunstarbeiter*innen auf den Bildern, diesen Blick von den Wänden herab, scheint er nicht zu ertragen. Fluchtartig verschwindet er auch, als eine weitere Person die „Kunst-Bude Oberhausen“ betritt. Er solle doch wieder kommen ..., erreicht ihn kaum noch.

Die Person, die ihn ablöst, sagt sogleich, dass wenn es wahr wäre, was auf dem Plakat draußen stehe, müsste ich ihr doch weiterhelfen können: Sie als neue Organisatorin der Ordner des Oberhausener Karnevals muss eine Versicherung für ihre Ordner abschließen, doch dies sei problematisch! Karneval sei ja schließlich auch Kunst! Nach detaillierter Analyse der Problematik ist klar, dass die Ordner allesamt zu Kunstarbeiter*innen werden müssen. Natürlich machen die Ordner des Oberhausener Karnevals Kunst-Arbeit! Nächste Woche kommen sie mit einigen anderen Ordnern vorbei, mittlerweile werde ich mich bei der Rechtsabteilung der Stadt über Versicherungsfragen im Ehrenamt erkundigt haben, und wir besprechen das Weitere.

Dieses Jahr ist auch Rozan wieder mit dabei, mit gemalten Bildern auf der Basis von authentischen Fotos ihrer Familie auf der Flucht in Syrien. Nazim denkt sich noch etwas aus, aber bringt heute schon einmal einige aktuelle Bilder. Mustafa will einen Film in Oberhausen drehen und Habib will einfach nur weiter Kleidung für alle nähen. Besonders gespannt bin ich auch darauf, was Cosima ausfuchst, ihre Concrete-Cupcakes (allen Oberhausenern ein Beton-Cupcake!) wurden im letzten Jahr als Geschenke verteilt und von allen ohne Erklärung verstanden. Hartmut will weiter an den Wunschliedern für Oberhausener arbeiten, geschöpft aus seinem Repertoire der letzten 1500 Jahre global migrierender Liederkultur.

Ich hoffe, der Fotograf kommt wieder; auch der geflüchtete Mediziner aus Syrien, der lange, sehr lange über das Wort „Kunst“ nachdachte und dann lautlos verschwand; die Jungs, die kein Geld von der Sparkasse nebenan abholen konnten, dann vor dem Fenster dickhosig über Kunst und Arbeit scherzten und sich nicht hineintrauten; der Pantomime, und viele andere, die schon die Nase in diesen ersten Tagen hineinsteckten. Doch es ist ein wenig wie beim Angeln, oder wie die Isländer sagen: Der Eisbär kommt nur dann, wenn du nicht mit ihm rechnest. In der Tat habe ich bisher niemanden hineinkommen sehen, immer nur stehen sie schon drin.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Kunst des Wartens auf das Unerwartbare zu üben; eine Kunst des Wünschens; doch das, was kommt, kommt anders als das Erwartete. Meine Fähigkeit oder Unfähigkeit, diejenige oder denjenigen, die/der auch immer durch die Tür hineintritt zu akzeptieren, scheint entscheidend für die künstlerische Freiheit dieser anderen zu sein.

So stehen plötzlich Ricardo und die Skater-Gang mitsamt Skateboards im Raum, als ich mit der Teekanne wieder nach vorne komme. Coole Skater-Filme in frei-künstlerischem Stil, dazu auf Kassetten-Rekordern gemischte Musik sei es diesmal. Letztes Jahr wurden ihre Skateboards von anderen Künstlern bemalt und an von diesen Künstlern vorgegebenen Orten „zerfahren“. Sie bringen Bewegung in das ganze Geschehen hinein, Unberechenbarkeit und Kontrolle sind in ihrer Kunst-Arbeit des Skatens keine Widersprüche, sondern sich bedingende Notwendigkeiten.

Bedauernd notiere ich, dass ich ungern den Menschen sofort die Kamera ins Gesicht halte, als das Trio – bestehend aus Transfrau, Rollstuhlfahrer und schwer erkranktem Rapper – sich unvermittelt im Raum umschaut: ... wir sind mal einfach reingekommen, Tür ist ja auf ... . Interviews wollen sie machen, verkostümiert. Ich muss mich bremsen, dass mir kein: ... braucht ihr nicht..., herausfährt, so wie ihr seid, seid ihr cool wie nichts und niemand anders in der Stadt. Ja, absolutes Ja, immer wieder Ja, auch wenn ich es erst später oder nie verstehe, jede Idee ist gut, jede kreative Kommunikation ist wichtig, jeder Mensch kann Kunst, wenn er will; nur keine Standards bitte, Kunst muss künstlerisch wirken, kein „so tun als ob“ bitte.

So sieht das auch Aurelia, die eine unabhängige Kulturwerkstatt ohne irgendwelche finanzielle Unterstützung betreibt. Dort wird musiziert und ausgestellt, kompromisslos Kunst gemacht und gedacht. Die Einfachheit des Dargestellten ist kein Hindernis für das künstlerische Erlebnis dort. Und der konsequente Kunstgedanke dort ist kein Hemmnis für die Verständlichkeit.

Mittlerweile amüsiert bin ich in Gesprächen mit Geldgebern, vor und nach Zu- bzw. Absagen. Die Welt unterscheidet sich auch hier in diejenigen, die davon sprechen, Verantwortung zu übernehmen, und solche, die Verantwortung übernehmen und handeln. Nicht dass ich nur diejenigen als verantwortlich Handelnde bezeichne, die mir Geld geben, ein – möglichst persönlich – ausgesprochenes klares Nein mit Begründung gibt auch Orientierung.

Unverantwortlich ist ein unscharfer Kompromiss in der Hochzeit Kunst und Soziales, der dann auftaucht, wenn man sich nicht zu sagen traut, was Kunst ist, was Soziales ist, auch was Politik ist. Diese Unklarheit hindert allerdings nicht daran, im Zweifelsfall die Arbeit entweder aus dem Kunstlager als zu sozial verstehen zu wollen und von der sozialen Seite her als zu künstlerisch, obwohl beide Pole sich stetig mit der anderen Seite kleiden. Ursache dieser Mutlosigkeit ist die eigene Unschärfe, und die Folge dessen eine allzu oft a-soziale Praxis, die – ohne das eine, das andere, noch das dritte zu sein – den Raum der Notwendigkeit zwar mit vorläufiger Befriedigung besetzt, dies jedoch tut, ohne weiterführende Wirkungen hervorzurufen. Das Problem ist anscheinend, dass das Projekt in der Tat das tut, was es sagt und sich nicht vereinnahmen lässt. Würde es, anstatt zu handeln und nichts zu behaupten, nur behaupten und nichts vom Behaupteten einhalten, gäbe es durchaus mehr oberflächliche Kontakte und durchaus auch weitere Fördermöglichkeiten – allerdings mit den Mutlosen. Da soll sich besser nichts einschleichen.

Alle, die direkt teilhaben, interessiert diese Trennung – Soziales oder Kunst – nicht. Entscheidend für sie ist das künstlerische Handeln. So meine alte Heimatstadt Oberhausen. Das Kulturdezernat und viele weitere in der Stadt unterstützen das Projekt nach Kräften. Nicht diskussionsfrei, aber genau deshalb wichtig ist auch Interkultur Ruhr/Regionalverband Ruhr als Partner von Beginn an. Schließlich die Kunststiftung NRW, für die die thematische Debatte nicht entscheidend ist, sondern die mich als Künstler seit langem verfolgt und die stetige Weiterentwicklung dieser Kunst interessiert. Welches Medium und in welchen Notwendigkeiten ich mich bewege, wird mir überlassen, es geht schließlich um Kunst, da sollte Freiraum bestehen.

Kunst kann man nur verstehen, wenn man sich künstlerisch darauf einlässt. Auch nur dann ergeben sich weitere künstlerische Möglichkeiten. Dass Menschen diese Kunst machen und daran teilhaben, das bedarf keiner Rechtfertigung. Gerade ihre Unzulänglichkeiten lassen die Menschen erst künstlerisch aktiv werden. Die, die dabei sind, handeln. Sie handeln in der Übertragung von einem System ins andere, in der Unterschiedszone, dort, wo Sinn herkommt.

Die „Kunst-Bude“ füllt sich derweil mit neuen und alten Bildern von neuen und bekannten Gesichtern. Alles wird aufgehangen und hingestellt, wo auch nur Platz zu finden ist. Es kommen auffallend viele Leute, die nirgendwo hineinpassen. Weil sie irgendwoanders herkommen, geografisch und/oder geistig irgendwoanders herkommen. Menschen halt. Künstler halt. Menschenkünstler. Künstlermenschen. Nicht einmal hineinpassen in die Kategorie, die man gemeinhin Künstler nennt. Nicht einmal hineinpassen in die Kategorie, die man gemeinhin Mensch nennt.

Oh, da kommt, ich glaube es kaum, der Fotograf. Er habe doch noch Speicherkarten gefunden. Ich bin gespannt!

 

"Brauchse Jobb? Wir machen Kunst!" ist ein Projekt von Thomas Lehmen im Rahmen des Programms „Uncommon Ground“ von Interkultur Ruhr, gefördert von der Kunststiftung NRW.

> zum Projekt

http://brauchsejobb.de

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