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“Das geht mir so auf die Nerven!”

“Stahlwerk Jetzt!”, Frey-Filmproduktion, Dortmund 1981, Filmstill

“Das geht mir so auf die Nerven!”

von: 
Johanna-Yasirra Kluhs

Ein Gespräch mit Rita Schenkmann-Raguse und Pat Walbersdorf zum Film “Stahlwerk Jetzt!”

Im Rahmen des Tags der Trinkhallen am 6. August 2022 waren zum zweiten mal an mehreren „Filmbuden“ in verschiedenen Städten Auszüge aus dem Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets zu sehen. In der Bude 116Einhalb in Dortmund wurde eine gekürzte Originalversion des Films “Stahlwerk Jetzt!” (1981) gezeigt. Johanna-Yasirra Kluhs hat mit Rita Schenkmann-Raguse und Pat Walbersdorf gesprochen, die den Film nicht nur aufbewahrt, sondern auch selbst darin mitgespielt haben.

Ich treffe Rita und Pat am 16. Juli 2022 in meiner Küche. Wir sind verabredet, gemeinsam Dokumente aus Filmen anzusehen, die sie 2018 zur Aufbewahrung und Digitalisierung an das Projekt “Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets” übergeben haben. Neben privaten Familienaufnahmen finden sich hier auch einige Schmalfilmrollen mit Dokumentationen politischer Demonstrationen und vor allem von Dortmunder Arbeitskämpfen rund um die Stahlindustrie. Ein Gegenstand fällt wegen seines Formats besonders auf: Eine VHS-Kassette mit der großen Aufschrift “Stahlwerk Jetzt!”.

Mit Rita Schenkmann-Raguse und Pat Walbersdorf, die den Film nicht nur aufbewahrt, sondern auch selbst darin mitgespielt haben, spreche ich über die Entstehungsbedingungen des Films und Auswirkungen des Ereignisses, das er porträtiert. 1981 wird in Dortmund um ein neues Stahlwerk gekämpft, das gesicherte Beschäftigungsverhältnisse für die Belegschaft garantieren soll. Die Ehemänner von Pat Walbersdorf und Rita Schenkmann-Raguse sind als Betriebsräte treibende Kräfte. Und ihre Frauen, die beide selbst politisch sehr aktiv sind, ergänzen den Protest der Männer um eigene große Aktionen. So gründen sie unter anderem die Hoesch-Frauen, die mit einem Hungerstreik vor den Werkstoren und der intensiven Zusammenarbeit mit der Oberhausener Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen bis heute im ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus von sich reden gemacht haben.

Der Film “Stahlwerk Jetzt!”, ein Diplom-Projekt junger FH-Studierender aus Dortmund, porträtiert ausgewählte Ereignisse im Kampfjahr 1981, und wird dabei mit der Kamera Zeuge einer spektakulären Besetzung der damaligen Hoesch-Zentrale an der Rheinischen Straße. Rita und Pat erinnern sich.

Johanna: Was ist “Stahlwerk Jetzt!” für ein Film?

Pat: Ein Spielfilm.

Rita: Ein Dokufilm.

Pat: Naja, es wurde als Spielfilm verkauft. Aber alle Protagonistinnen und Protagonisten sind, was du siehst.

Rita: Der hieß ja auch im Original: Detlev, wir kommen! Weil das so ein Schlachtruf in dem Haus Hoesch war: Detlev, versteck dich nicht!

Johanna: Weil Detlev der Chef war?

Pat: Detlev Rohwedder! Ja, der Rohwedder, mit dem die schärfsten Auseinandersetzungen 1981/82 gelaufen sind, ist ja dann 1991 als Chef der Treuhand erschossen worden. Eine sehr interessante Persönlichkeit. Vertrauensleute im Betrieb sagen dir heute noch: Wenn der bei Hoesch geblieben wär, wär die Westfalenhütte nie abgerissen worden. Rheinhausen wäre nicht passiert. Und es wäre hiergeblieben, das Stahlwerk. Es wäre anders gebaut worden. Das war wichtig: Der war hier und die Belegschaft war hier. Der ist zu Schrade in den Garten gegangen.

Johanna: Warte, und Schrade war…?

Pat: Der Betriebsratsvorsitzende. Und der kam aus Ostpreußen und das war auch ne Persönlichkeit. Das war immer wichtig: Es gibt keine Luschen, die was miteinander zu tun haben. Wenn einer ne Lusche ist, wie der N. oder der K., die danach kamen: Die haben die Bude verkauft.

Johanna: Nochmal zum Film: Der Mirko war also ein Freund, der Film studiert hat?

Pat: Der hat Film studiert an der FH und war der Sohn einer Freundin Marianne. Marianne wiederum war in der (Kommunistischen) Partei, eine sehr lebendige, sehr schöne Frau, die überall mitgemischt hat. Die hat auch im Chile-Komitee was gemacht. Und immer, wenn was war, hat sie ihre Buletten gebacken und alle haben sich gefreut: Marianne kommt. Mirko ist immer der Kleine gewesen und hatte immer schon ein Händchen für Fotografieren und Filmen und Kunst. Und er hat dann an der Fachhochschule bei Winkelmann gelernt.

Johanna: Und der hat dann mitgekriegt, dass da was los ist und er musste einen Diplomfilm machen und dann hat er gedacht: Den mach ich jetzt hier über euch.

Pat: Nein, weil er uns ja alle kannte - und wann haben wir nicht über Hoesch geredet…? Irma und Bernhardine waren tolle Frauen und mit denen zusammen hat er das dann gemacht.

Rita: Er gehörte ja zu den wenigen, die in Dortmund politisch aktiv waren und er wusste: Da wird nie drüber berichtet. So wie heute immer noch. Er hat das als seinen Part gesehen, das zu dokumentieren. Und er war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Johanna: Und wie liefen dann die Vorführungen?

Rita: Als der damals im Roxy Premiere hatte, haben sich Viele unheimlich aufgeregt.

Pat: Ja, die Gewerkschafter da, die fanden, sie wurden nicht gut dargestellt. Die sind aufgestanden und wütend rausgegangen. Es ging um diesen Abschnitt mit der Besetzung der Rheinischen Straße. Und da waren sie dann wütend. Ich war ganz entsetzt, was da abgelaufen ist.

Rita: Ich war ja dabei bei der Besetzung. Es hat da zwei Welten gegeben. Die einen, die haben brav vor der Tür gestanden. Ein anderer Trupp ist ins Haus gerast. Wir auch natürlich. Das fanden sie ungehörig, das Haus einfach zu besetzen. Und die, die da reingerannt sind, die waren natürlich – inklusive Frauengruppe – auch ungehörig. Frech. Also, Pat steht da auf dem Balkon und quatscht den Rohwedder da von unten nach oben an. Das fanden sie fürchterlich.

Pat: Zum 1. Mai sind wir rumgelaufen: Spießrutenlaufen. Auf’m Westfalenpark. Da war ja danach das Konzert und wir wollten da Karten verkaufen. Und dann die so: Nee, mit euch nicht. Da haben sie gerufen: Die Flintenweiber.

Johanna: Und wie lange hat das angehalten?

Pat: Das war nicht sehr lange.

Rita: Wir waren sowieso verrufen. Unsere Männer Rüdiger und Jochen waren bekannt als Kommunisten. Die ließen sich nicht kaufen, die waren einfach sehr radikal und sehr direkt und sehr offen. Und wir waren eben die Frauen. Und deshalb. Unser Schwung bei der ersten Gründung der Hoesch-Frauen – da sind vielleicht noch drei, vier Frauen dazugekommen, aber ansonsten waren wir dicht, da kam niemand mehr rein. Aber das macht auch nichts. Du kannst auch mit so’n paar Leuten. Du musst nicht warten bis die halbe Stadt aufsteht, du kannst auch mit zehn Leuten anfangen, wenn du’s pfiffig machst und es stimmig ist. Man hat ja heute Möglichkeiten, was zu machen. Weißt du, wenn du mit so Erbsenzähler-Truppen unterwegs bist, da kannst du bekloppt werden. Da kannst du keinen Millimeter neben der Spur laufen, dann ist das alles gleich Verrat. Also, so eine Diskussion war da im Kino. Aber was ich viel witziger fand: Die normalen Arbeiter, die da im Publikum dazwischen saßen – das Kino war damals proppenvoll – der Film lief und das Publikum hätte man filmen müssen: „Ey, guck dir den an, was macht der denn da? Haste gesehen?” Also, die korrespondierten mit dem Film. Das fand ich am Schönsten. Ich fand die Vorführung war der Hammer.

Johanna: Und das war nur einmal, 1981, und dann wurde der Film nie wieder gezeigt. Ihr wolltet den doch noch mal dort aufführen.

Rita: Wir wollten den gern in dem alten Gebäude, in dem die Besetzung stattgefunden hat, zeigen.  Aber da kam die Pandemie dazwischen. Das ist ein Zeitzeugnis aus einer Zeit, in der es zu einer kleinen Rebellion gekommen ist. Zufällig. Wo ein paar Sachen zusammengestimmt haben. Ich finde es wunderbar, dass man den Sprung dann in die heutige Zeit macht, wo uns so vieles aufregt. Und was machen wir? Alle sitzen noch in den Startlöchern und keiner springt. Da kann man das wieder auseinanderlegen und fragen: Wie bedeutsam sind uns heute gesellschaftliche Fragen? Man kann ganz vieles diskutieren. Der Film ist quasi nur ein Hintergrund dafür, dass ganz vieles passieren kann.

Johanna: Aber was wäre jetzt das Wichtigste, wofür man kämpfen sollte?

Rita: Für die Menschen. Dass man sie ernst nimmt in ihren Sorgen. Überleg mal, wie viele Frauen, wenn man jetzt mal bei den Frauen bleibt, kriegen eine Mini-Rente. Überhaupt dieses untere Drittel. Man müsste Theaterstücke machen! So übertriebene, überzogene Sachen. Es gab mal am ersten Mai – da hat eine Theatergruppe sich so als reiche Leute verkleidet, mit Zigarettenspitzen und so: “Geht ihr mal arbeiten, wir haben das Geld!” Ja, sowas brauchen wir einfach, nicht so in diesem ganzen Gehacke, wie die Gewerkschaft da teilweise, immer in ihren roten Joppen und so weiter. Also, das geht mir so auf die Nerven.

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Stahlwerk jetzt! (1981/82)
Ein Dokumentarfilm für alle, die aufrecht gehen wollen
Frey-Filmproduktion (Dortmund)
Regie: Irma Frey, Mirko Onken, Bernardine Schippers
Premiere im Roxy Kino Dortmund am 04. Mai 1982
Gestaltung des Plakates durch Gisbert Gerhard

Vielen Dank für die Unterstützung an Isolde Parussel / Hoesch-Museum.

2018 hat Interkultur Ruhr im Rahmen des Projektes Schmelztiegel Ruhrgebiet – Alltag schreibt Geschichte damit begonnen, historische Familienfilme aus dem Ruhrgebiet zu sammeln. Fast 1000 Schmalfilme aus privaten Beständen wurden von Bewohner:innen der Region abgegeben. Seitdem werden regelmäßig zu verschiedenen Anlässen Auszüge aus dem Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets gezeigt.

Das Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets entstand im Rahmen des Projektes Interkultur Ruhr (RVR) mit Unterstützung des Forums für Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V., Archivträger ist die Stiftung Ruhrmuseum.

 

Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets. Foto: Guido Meincke
Filmscreening „Stahlwerk jetzt!“, Tag der Trinkhallen 2022. Foto: Johanna-Yasirra Kluhs
Filmscreening „Stahlwerk jetzt!“, Tag der Trinkhallen 2022. Foto: Johanna-Yasirra Kluhs
“Stahlwerk Jetzt!”, Frey-Filmproduktion, Dortmund 1981, Filmstill
“Stahlwerk Jetzt!”, Frey-Filmproduktion, Dortmund 1981, Filmstill
“Stahlwerk Jetzt!”, Frey-Filmproduktion, Dortmund 1981, Filmstill
Filmscreening „Stahlwerk jetzt!“, Tag der Trinkhallen 2022. Foto: Johanna-Yasirra Kluhs
Filmscreening „Stahlwerk jetzt!“, Tag der Trinkhallen 2022. Foto: Johanna-Yasirra Kluhs
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