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Schwätzken an der Ladentheke. Im Oberhausener Ossilädchen trifft sich Ost und West

Heike und Jörg Frühauf, Inhaberin und Inhaber des Ossilädchens, Oberhausen

Schwätzken an der Ladentheke. Im Oberhausener Ossilädchen trifft sich Ost und West

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Interkultureller Kalender 2020

Der Interkulturelle Kalender feiert die einzigartige Vielfalt des Ruhrgebiets. Mit der Sonderedition des Jahres 2020 stellen wir jeden Monat interkulturelle Akteur*innen vor und laden zu Veranstaltungen an besonderen Orten ein. Im November steht das Ossilädchen in Oberhausen im Mittelpunkt. Johanna-Yasirra Kluhs hält mit Heike und Jörg Frühauf ein Schwätzken an der Ladentheke.

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Zufällig laufe ich eines Abends auf dem Weg durch die Oberhausener Innenstadt am Ossilädchen vorbei. Ostdeutsche Einkaufskultur im äußersten Westen. Was steckt da wohl dahinter? Kurzerhand rufe ich am nächsten Tag bei der Besitzerin Heike Frühauf im Laden an. Ob sie mal Zeit habe für ein Gespräch? Auf jeden Fall, aber es ginge nur wochenends, denn ihr Mann Jörg solle dabei sein, der wäre sonst auf Arbeit. An einem Samstagmorgen sitzen wir gemeinsam im Schaufenster, sprechen über Erinnerungen, Arbeitsmigration und Erfolg, der mit Geld nichts zu tun hat.

Johanna-Yasirra Kluhs: Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, Ehepaar Frühauf. Vielleicht können Sie sich erst mal vorstellen. Wer sind Sie?

Jörg Frühauf: Ich bin Jörg Frühauf. 50 Jahre. Geboren in Halle. Heimat ist noch nach wie vor da. Sozialer Punkt ist Nordrhein-Westfalen jetzt.

Heike Frühauf: Ich bin Frau Frühauf. Geboren in Weimar. Jahrgang ’63. Mein Mittelpunkt ist momentan hier.

JYK: Und wie kam es zu diesem Laden?

JF: Der Laden kam 2013. Weil immer mehr Arbeitskollegen – die Filiale in Leipzig hatte damals zugemacht – kamen dann hier hoch. Und dann hieß es immer: Bring mal mit, bring mal mit. Ja, und da ich LKW-Fahrer bin, war’s dann irgendwann so weit, dass ich selbst gar keinen Platz mehr im Fahrerhaus hatte. Und dann haben wir das 2013 mal probiert, die Firmen anzuschreiben. Ob das was bringen würde, die Sachen hierher zu holen. Skepsis kam von verschiedenen Firmen, denn die waren schon alle hier im Westen. Und dann haben sie gesagt: Nee, das interessiert keinen. Aber manche waren an dem Projekt interessiert. Ja, und dann haben wir mit kleinen Schritten angefangen. Und immer mehr Firmen haben dann gesagt: “Ja, das geht.” Ja, das sind dann die Westdeutschen, die merken, dass es schmeckt. Aber es besteht ja auch nicht nur der Laden. Wir sind auch regelmäßig, so ab Ende März, auf Treffen im Ruhrgebiet komplett unterwegs. Wo dann Ostalgie-Treffen sind. Ich war jetzt vor Kurzem in Witten an der Zeche. Dort treffen sich die “Wittener Trabbi-Freunde”. Die treffen sich dann zum Basteln, zum Gucken, zum Gedanken mal wieder austauschen. Oder einfach so, den Duft des Trabant mal wieder zu riechen.

HF: Ja, Veranstaltungen macht er dann immer, da kennt er sich besser aus. Ich kann nicht so lange rumsitzen. Das ist mir nüscht. Ich brauch’ Bewegung. Ich stehe ja praktisch jeden Tag hier, außer Samstag. Wenn’s Samstag eine Veranstaltung gibt, wo mein Mann ist, bin ich auch hier. Ansonsten Montag bis Freitag. Das ist schon etwas, wo mein Herz mit dranhängt.

JYK: Sie arbeiten ja sehr viel, Herr Frühauf. Diesen Laden nach Feierabend zu betreiben.

JF: Das stimmt vielleicht. Aber es gibt ja auch Kraft. Zum Beispiel kam hier mal eine ältere Frau vorbei, die kam aus meinem Nachbarort. Da flossen richtig Tränen. Für’s Geld machen wir das hier nicht. Das ist Plus/Minus Null. Solche Situationen sind unsere Bezahlung.

HF: Und wir haben auch gelernt, Pausen zu machen. Feierabend ist Feierabend. Das bringt sonst niemandem was.

JYK: Sie haben ja vorhin den Unterschied zwischen Ihrem Herkunftsort und hier so stark gemacht. Können Sie das beschreiben? Was ist unterschiedlich, was ist ähnlich?

HF: Die Menschen sind anders. Die Offenheit hat sich im Osten zwar auch ganz stark gewandelt, aber ist immer noch anders als hier. Hier ist mehr so die Ellenbogen-Gesellschaft. Kommt irgendwann mal eine Kundin hier rein vor ein paar Jahren und hat gefragt, wo wir die Süßwaren her haben. Das kannte sie doch auch. Wie können wir so was haben, das gab’s doch gar nicht im Osten. Ja klar! Das kommt von uns. Das haben wir für euch hergestellt, damit ihr Schokolade hattet.

JYK: Aber das sind ja seltsame Vorurteile! Sind Sie da oft mit konfrontiert?

HF: Ja, Am Anfang ganz ganz schlimm. Oder die dummen Vergleiche mit den Bananen. Ja, die dürfen ja keine Bananen.

JYK: Und haben Sie den Eindruck, das hat sich verbessert in den letzten Jahren? Dass man ein bisschen differenzierter aufeinander guckt?

HF: Ja, offener. Differenziert wäre jetzt noch das gleiche. Aber offener auf jeden Fall.

JYK: Und dieses Jahr war/ist ja großes Jubiläum, 30 Jahre.

HF: Wir sind auch, als die Mauer offen war, hier rübergefahren. Gut, war alles schön bunt. Wir haben selbst auch gesagt, alles schön bunt, schön glänzend. Alles wird gold abgesetzt. Aber wenn das Gold dann mal abblättert, dann ist es genau das gleiche wie im Osten auch. Man muss genau so für seine Ware hier bezahlen, wie dort auch. Nur dass das Angebot dort ein bisschen größer war. Allerdings aus der heutigen Sicht muss man sagen, das Angebot ist viel zu groß – die Hälfte davon schmeißt man weg. Ist für mich unsinnig.

JYK: Und das Produktsortiment, das Sie haben? Würden Sie sich gern vergrößern?

HF: Verändern. Erweitern nicht. Verändern. Das ist mit den Kunden gewachsen. Die Wünsche von den Kunden, die haben wir hier aufgenommen. Von Anfang an.

JF: Wir hören zu.

JYK: Dieses Jahr passieren ja auch viele Ost-West-Dialoge. Gerade anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls. Und da gibt es ja auch viele Leute, die sagen: Es gab vielleicht eine Wiedervereinigung, aber eigentlich sind wir noch zwei Länder.

JF: Das wird auch immer so bleiben.

JYK: Warum?

JF: Angleichung in der Bezahlerei – selbe Arbeit, selber Lohn: ist nicht. Der Ausverkauf der DDR früher kurz nach der Wende wird jetzt immer gravierender deutlich. Und es ist auch noch in den Köpfen drinne, dass man überrannt worden ist. Weil sich der Westteil hinstellen möchte und jetzt über den Ostteil herrschen möchte. So ist das und so wird das auch Generationen noch ursteinewig in den Köpfen bleiben. Ossi-Wessi, das ist generationenübergreifend.

JYK: Dann ist das also ein erinnerungskultureller Ort hier. Ostdeutsche Kultur im Westen. Was gibt’s noch?

JF: Es gibt hier einen DDR-Stammtisch. Es gibt hier das K14, da werden schon mal DDR-Filme gezeigt. Es gibt in Bochum das DDR-Kabinett. Da kann man sich dann – das ist Art Museum – von alten Fernsehern über Uniformen oder sonst irgendwas angucken.

JYK: Wir machen ja dieses Gespräch anlässlich des 3. Oktober, “Tag der Deutschen Einheit”. Und um Sie zu fragen: Was gibt’s denn da zu feiern?

JF: Ganz ehrlich gesagt: nix. Das ist nur ein freier Tag für Werktätige. Im Osten wird nicht gefeiert. Hier wird nicht gefeiert. Nix. Das ist nur ein freier Tag. Also, ein abschaffbarer Tag eigentlich.

HF: Nö, der kann schon frei bleiben! (lacht) Aber das ganze Mauergedöns: muss nicht sein.

Oberhausener Ossilädchen
Elsässer Str. 29
46045 Oberhausen

Öffnungszeiten:
Mo-Fr 10-17 Uhr
Sa 10-15 Uhr

Die gedruckte Auflage des Interkulturellen Kalenders 2020 ist leider vergriffen. Eine digitale Version (pdf) zum Herunterladen gib es > hier.

Der Interkulturelle Kalender des Ruhrgebiets empfiehlt jeden Monat eine besondere Veranstaltung. Am 11. November laden wir zu einer "leuchtenden Überraschung" nach Dortmund ein. Das Fest kann leider nicht als öffentliche Veranstaltung stattfinden. Ein alternatives Format ist in Planung. Weitere Informationen > hier.

Jörg und Heike Frühauf im Ossilädchen. Foto: Fatih Kurceren
Jörg und Heike Frühauf im Ossilädchen. Foto: Fatih Kurceren
Jörg und Heike Frühauf im Ossilädchen. Foto: Fatih Kurceren
Heike und Jörg Frühauf im Ossilädchen. Foto: Fatih Kurceren
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