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Was also können wir tun?

Kulturkonferenz Ruhr 2018: Kübra Gümüşay

Was also können wir tun?

von: 
Kübra Gümüşay

Bei der 7. Kulturkonferenz Ruhr, die im September 2018 nach Kulturorten für eine Metropole der Vielfalt fragte und sich mit der Zukunft kultureller Räume und Institutionen befasste, hat Kübra Gümüşay uns und viele Gäste mit ihrem Impulsvortrag stark beeindruckt. Zum Jahresabschluss und als Blick nach vorne hier ein Auszug aus ihrer Rede:

Immer häufiger stellt man mir eine Frage, auf die ich gar keine Antwort haben will. Denn sie führt mich an einen Punkt, vor denen mir graut, an den ich nicht kommen will. Manchmal wartet jemand nach einem meiner Vorträge darauf, dass die Menschentraube um mich herum kleiner wird und dann, wenn kaum jemand noch da ist, kommt diese Person näher, lächelt zurückhaltend und fragt mich dann leise diese Frage. Ich kann dann nur erahnen, welche Ängste und Befürchtungen die Person zu genau dieser Frage veranlassen. In langen E-Mails erhalte ich dieselbe Frage - häufig nachts, zu später Uhrzeit, wenn die Kinder des oder der Schreibenden schon längst im Bett sind, die Besorgnis jedoch die Person, die mir schreibt, um den Schlaf bringt.

Immer öfter fällt diese Frage auch abends unter meinen Freund*innen. Irgendwann, wenn wir lange genug beisammen gesessen haben, gemeinsam gelacht, uns über Oberflächlichkeiten und Banalitäten unterhalten haben, ist Zeit, um „Klartext“ zu reden. Wobei es in den letzten Monaten immer weniger lange dauerte, bis jemand tief einatmete und die Frage in den Raum stellte. Ungemütlich wird es dann. Die Mundwinkel fallen. Es ist mir so unangenehm dramatisch. Ich will diese Angst nicht. Ich will mich nicht damit beschäftigen. Ich will verdrängen. So lange es geht. Doch wie lange ist „so lange es geht“? Es fällt mir immer schwerer, diese Frage nicht auszusprechen.

Wann ist der Punkt gekommen, an dem die Zukunft so ungewiss, die Ungewissheit wiederum so furchterregend ist, dass es besser wäre, ohne viel Aufsehen Deutschland, meine Heimat, zu verlassen? Der Punkt, an dem Hoffnung zu Naivität und Optimismus zu Zynismus wird? Woran erkenne ich diesen Moment?

Vielleicht, wenn ein Mob vermeintliche „Ausländer“ jagt? Wenn Geflüchtetenunterkünfte brennen? Wenn Synagogen und Moscheen angegriffen werden? Wenn eine rechtsextreme Terrororganisation jahrelang unbehelligt Menschen ermordete? Wenn der Verfassungsschutz eine rechtsextreme Partei deckt und rechte Gewalt relativiert? Wenn eben jene Partei im Bundestag sitzt? Wenn ein Bundesinnenminister zum Amtsantritt die nationale Zugehörigkeit der Muslim*innen in Frage stellt? Wenn ein fremder Anzugträger am Flughafen grundlos auf dich zusteuert und mit voller Wucht deinen Kinderwagen umschmeißt? Und dein Kind das nur deshalb unbeschadet übersteht, weil es gerade erst wenige Wochen alt, tief und fest im Tragetuch an deiner Brust schläft, versteckt unter deinem Mantel? Vielleicht dann? Alles geschehen.

Noch weigere ich mich, mein Herz für diese Frage zu öffnen, denn es fühlt sich ein bisschen wie Untreue an. Wie wenn ich in einer Partnerschaft wäre, bei der ich mich nicht ganz festgelegt hätte, und immer nach außen schielte, weil ich innerlich bereits mit dieser Partnerschaft abgeschlossen hätte. Und ich mich deshalb nur noch fragte: Wann soll ich hier raus?

Doch ich habe mit meiner Heimat nicht abgeschlossen. Weil ich Deutschland noch nicht aufgegeben habe. Nicht aufgeben will. Weil ich hoffe, dass sich die vielen Nicht-Betroffenen und Betroffenen in meiner Heimat jetzt und jeden Tag fragen: Wann sind sie, diese Anfänge, denen wir wehren müssen? Denn auf diese Menschen und diese Frage und die Bereitschaft, diesen Hass zu stoppen, zähle ich.

Was also können wir tun? Beispielsweise hin und wieder mal so tun als wäre die um Aufmerksamkeit brüllende AfD nicht da - und nicht unsere gesamte, gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit einer einzelnen Partei und seinen Vertretern zu widmen. Unsere Debatte und Inhalte von ihnen diktieren lassen.

Ich sage nicht, dass niemand mit der AfD sprechen soll. Ich sage lediglich, dass nicht alle immerzu zur AfD und den Menschen, die behaupten, sie seien „das Volk“ sprechen sollten. So als ob es keine anderen besorgten Bürger*innen in diesem Land gäbe. So als gäbe es keine brennenden Geflüchtetenheime, keine bedrohten Journalist*innen, keine Menschen, die allein aufgrund ihrer Herkunft von einem Mob gejagt werden, so als hätte nicht eine rechtsextreme Terrororganisation jahrelang unbehelligt Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Land ermordet, so als hätten diese rechtsextreme Partei und der NSU nicht merkwürdige Verstrickungen.

Aufhören darauf zu warten, dass irgendjemand anfängt. Heribert Prantl formulierte es hervorragend in seinem Essay über den „Mantel der Gleichgültigkeit“. Darin zitiert er die Geschwister Scholl: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt. (…) Entscheidet euch, eh’ es zu spät ist!“ In Bezug auf die gegenwärtigen Verhältnisse kommentiert Prantl wie folgt: „Wenn jeder wartet, bis der Andere anfängt, wird keiner anfangen.“ Wir könnten so vieles tun. Auf die Straßen gehen, in Massen. Nicht gegen die AfD, sondern  für die vielen Dinge, für die wir stehen. Für Pluralität, für Gerechtigkeit, für eine bessere Gesellschaft.

Wir könnten vielleicht auch mal aufhören, das Eintreten für die Ideale in dieser Gesellschaft, den immergleichen Menschen zu überlassen – den Aktivist*innen, der Politik, die Bildungsinstitutionen. Und: Wo bleibt da, frage ich mich, die populäre Kunst & Kultur? „Ich möchte einfach unterhalten“, hörte ich eine junge Autorin sagen, die sich zuvor über ihre Kritik am Feminismus hervorgetan hatte. Einfach nur unterhalten – ohne Haltung – und zugleich dem Anspruch auf Intellekt, ist pure Ignoranz. Prof. Dr. Martin Roth, der im vergangenen Jahr leider verstorben ist - möge er in Frieden ruhen - hatte 2016 seinen Posten als Direktor des renommierten Victoria & Albert Museum in London vorzeitig verlassen, als über den Brexit entschieden worden war. Für ihn, so sagte er, war das eine ganz persönliche Niederlage. Er forderte Kulturdiplomatie:

„Museen, Theater und andere Kulturinstitutionen sollen neben ihren eigentlichen Aufgaben auch weiche politische Ziele verfolgen. Sie sollen Menschen dort erreichen, wo sie die Politik offensichtlich nicht mehr erreichen kann. “

Außerdem schrieb er:

„Nein, gerade jetzt, in Zeiten wie diesen, wäre es grundverkehrt, die Direktoren und Kuratoren vorschnell aus der Verantwortung zu entlassen. Wer ein Museum, eine Sammlung leitet, darf nicht nur die konservatorischen Belange im Blick haben, sondern ebenso die moralischen und ethischen Werte.“

Einfach nur unterhalten wollen – ohne Haltung -, empfinde ich in der gegenwärtigen Situation als verantwortungslos. Man entzieht sich jeglicher Verantwortung, ignoriert die eigenen Privilegien und freut sich, vermeintlich nicht betroffen zu sein. Verschont zu bleiben. Doch auch das ist nur eine Frage der Zeit.

Lasst uns deshalb diejenigen stützen die unterhalten mit Haltung – in Musik, Kunst, Kultur, im Theater – durch Essays, Artikel, als Lehrende und Lernende. Lasst uns gegen die Diktatur des Rechtspopulismus rebellieren – werben für das, wofür wir einstehen. Damit wir uns selbst nicht vergessen.

Kübra Gümüşay ist Journalistin, Aktivistin und Referentin. Als freie Autorin schreibt sie für Die Zeit, Zeit Campus, die Taz und andere Medien. Sie referiert zu den Themen Politik, Islam, Rassismus, Feminismus und Social Media an Universitäten, auf Konferenzen und in Presse, Radio & TV. Zudem arbeitet sie als Social Media-Beraterin für Unternehmen und Organisationen. 2014 war sie Botschafterin gegen Rassismus der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ihr Blog „Ein Fremdwoerterbuch“ wurde 2011 für den Grimme Online Award nominiert. 2012 wurde sie als eine von 50 Persönlichkeiten im deutsch-türkischen Jubiläumsbuch „50 Jahre 50 Menschen“ porträtiert.

Kulturkonferenz Ruhr 2018: Kübra Gümüşay
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