Beiträge zu einem Klima interkultureller Offenheit
Beiträge zu einem Klima interkultureller Offenheit
Eine Zwischenbilanz der Projekte aus dem Förderfonds Interkultur Ruhr
Kultur ist Kommunikation, und eine offene Gesellschaft ist eine Einladung, mitzureden und teilzunehmen. Interkultur ist mehr als nur ein Teil davon in einer Gesellschaft, die mit und von der Vielfalt lebt. Nicht mehr und nicht weniger muss zunächst damit gemeint sein, dass Kultur zur Integration einer Gesellschaft beiträgt. Wenn Kultur die Grundlage jeden Handelns ist, und das Medium, in dem sich Gesellschaft über sich selbst verständigt: Was für ein kulturelles Klima braucht es dann? Eines, in dem es weniger darum geht, Unterschiede in Einklang zu bringen, sondern zuallererst um eine interkulturelle Praxis der Aufgeschlossenheit – um die Bereitschaft, den Kreis derer, die dazugehören, offen zu halten.
Als 2015 die Zahl der Asylsuchenden in Europa anstieg, machte der Begriff der „Willkommenskultur“ die Runde, der zunächst auf das spontane zivilgesellschaftliche Engagement bezogen wurde – auf eine Welle der Hilfsbereitschaft, mit der Flüchtlinge aus Kriegsgebieten in vielen Teilen Deutschlands empfangen wurden. Das Ruhrgebiet lebt schon lange von der Zuwanderung. Insofern hat diese Offenheit hier eine lebendige Tradition. Zahllose Initiativen in den Kommunen betreiben seit Jahrzehnten interkulturelle Kultur- und Integrationsarbeit und bemühen sich aktuell, diese Willkommensgeste in eine nachhaltige Ethik der Anerkennung zu überführen.
Die Situation vieler Geflüchteter, die mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus über Monate oder Jahre in provisorischen Unterkünften ausharren müssen, verbessert sich nur sehr langsam. Wie lässt sich der Isolation der Bewohner solcher Notunterkünfte entgegenwirken? Wer ist zuständig und in der Lage, eine produktive Kommunikation und Interaktion mit Zuwanderern herzustellen, die permanent auf Abruf leben und von einer Duldung (auf Zeit) abhängig sind?
Das Land NRW hat letzterdings zahlreiche neue Förderprogramme aufgelegt, die die vielen kulturellen Institutionen der Region, soziokulturellen Initiativen und Akteure der freien Szene in dieser Arbeit stärken sollen. Der zusammen mit dem Regionalverband Ruhr eingerichtete Förderfonds Interkultur Ruhr unterstützt Projekte, die Kommunikationsorte und -gelegenheiten schaffen, Teilhabe ermöglichen und das kreative Potenzial der neu Zugezogenen als Chance einer kulturellen Öffnung begreifen. Bereits im Juni 2016 war der Fonds Interkultur Ruhr in Höhe von 200.000 Euro voll ausgeschöpft. 45 interkulturelle Projekte leisten durch die Einbeziehung von Geflüchteten konkrete Beiträge zur Förderung eines Klimas gesellschaftlicher Offenheit. Das Spektrum reicht von sportlichen Aktivitäten über die Vermittlung von Bildungs- und Kulturangeboten bis hin zu künstlerischen Projekten mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
In Bochum gibt es zum Beispiel gemeinsame Kinobesuche und spielerische Aktionen für Flüchtlingskinder, Theaterworkshops zum Thema Grenzerfahrungen oder mehrsprachiges Zeitung-Lesen. Geflüchtete wurden Teil einer Kommunikations-Installation auf dem Rathausplatz oder singen mit im örtlichen Gewerkschaftschor. Die lebendige Bibliothek in Bottrop stellt Willkommenskoffer für Kindergärten und Grundschulen zusammen, in Dorsten wird mit Schüler*innen und jugendlichen Zuwanderern ein Dokumentationsfilm über Flüchtlingshilfe gedreht. In Dortmund schaffen Literaturworkshops, mehrsprachige Poetry-Slams oder Performances im öffentlichen Raum Anlässe für Begegnungen, es werden Kurzfilme und Musikvideos gedreht oder Bühnenstücke am Theater untertitelt. In Duisburg entsteht eine interkulturelle Fußballmannschaft, ein mobiles Tonstudio nimmt Musikstücke mit Jugendlichen auf, Heimatsuchende aus vielen verschiedenen Herkunftsländern treten auf der Bühne des Stadttheaters auf, und ein junger Syrer wird Bildungspate für Kinder aus der Nachbarschaft. In Essen gibt es regelmäßig Clownsvorführungen für Kinder in Notunterkünften, mehrere Jugendkultur- und Tanzprojekte, die Brücken zwischen Einheimischen und Zugezogenen schlagen, oder arabisch moderierte Stadtführungen. Die Kunst-Kiste kommt zu Kindern und Jugendlichen in Gelsenkirchen, um mit ihnen ihre neue Heimat zu entdecken, und Kulturmentoren vermitteln Zugang zu kulturellen Angeboten im Ruhrgebiet. In Gladbeck zeichnen junge Frauen Bilder ihrer Fluchtgeschichte und ihrer Hoffnungen für die Zukunft. In Hagen formieren sich internationale Musik-Ensembles, und auch in Herten haben Musiker*innen aus aller Welt Gelegenheit, Lieder aus ihrer Heimat zu präsentieren. In Moers bringt ein Hip Hop-Workshop Schüler*innen, Azubis und Geflüchtete zusammen, und in Mülheim gibt es internationale Theaterprojekte, die sich mit der Geschichte des Kolonialismus auseinandersetzen oder den stereotypen Blick auf Geflüchtete korrigieren.
Eine interne Umfrage von Interkultur Ruhr zum aktuellen Fortgang der geförderten Projekte zeigt, dass sich die partizipative interkulturelle Arbeit auf vielen Ebenen als kleinteilig und langwierig erweist. Manche der Aktivitäten finden in der Öffentlichkeit statt, viele andere vollziehen sich hinter den Kulissen. In ausdauernder Vorbereitung werden Vorurteile, Kommunikationsbarrieren und strukturelle Hürden überwunden, um im kreativen Prozess individuelle Beziehungen wachsen zu lassen. Durch die gemeinsame Projektarbeit werden intensive Erlebnisse produziert, die neue Perspektiven schaffen, Freundschaften stiften und nachhaltig positiv wirken können. Die breite Resonanz einiger Projekte zeigt, dass es einen großen Bedarf an sozialer Interaktion und an kulturellen Aktivitäten gibt, und dass es sich lohnt, anfängliche Hemmschwellen zu überwinden.
Viele der Erfolge, die jetzt schon zu verzeichnen sind, verdanken sich dem persönlichen Engagement von Einzelpersonen, die leider oft selbst unter prekären Bedingungen arbeiten. Die Ergebnisse der Umfrage sollen helfen, präzise über Möglichkeiten nachzudenken, bessere Organisationsstrukturen aufzubauen, Akteure zu vernetzen und der interkulturellen Arbeit eine stärkere Lobby zu verschaffen. Kunst und Kreativität sind nachweislich in besonderem Maße geeignet, eine gemeinsame Basis herzustellen und eine Verständigung unter verschiedenen Kulturen zu ermöglichen. Die freien Initiativen und die Kulturschaffenden im Ruhrgebiet leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Integration und nehmen sich dieser Aufgabe in vorbildlicher Weise an. Fest steht aber auch: Der menschenwürdige Umgang mit Geflüchteten und die Einstellung auf eine fortschreitende kulturelle Diversifizierung ist eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe und lässt sich nicht an den Kunst- und Kulturbetrieb oder an gemeinnützige Organisationen delegieren. Hier braucht es deutliche kulturpolitische und gesellschaftspolitische Signale.
Im Selbstverständnis der interkulturellen Kulturarbeit sind im Rahmen der Umfrage darüber hinaus erste Lernprozesse deutlich geworden. Eine notwendige Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang gerade mit Geflüchteten ist es einerseits, sich eine umfassende Kenntnis der konkreten politischen und rechtlichen Situation der Projektteilnehmer*innen anzueignen, um tatsächlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und nicht an den gegebenen Bedingungen vorbei zu arbeiten. Andererseits eröffnet sich gerade dann die Chance, interkulturelle Kompetenzen aufzubauen, wenn die Teilnehmer*innen weniger als zu Versorgende, sondern vielmehr als gleichberechtigte Projektpartner betrachtet werden, die einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung des eigenen kulturellen Horizonts leisten. Beides ist nötig, um ein Klima interkultureller Offenheit zu erzeugen und Veränderungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit anzustoßen, mit dem Ziel, sich schließlich nicht mehr als Deutsche und Geflüchtete gegenüberzustehen, sondern sich als Menschen begegnen zu können.