Das Unsichtbare umkehren.
Das Unsichtbare umkehren.
Johanna-Yasirra Kluhs im Gespräch mit Adem Köstereli und Wanja van Suntum / RUHRORTER über den Alltag von Flucht und Migration im Ruhrgebiet und die Gestaltungs(un)möglichkeiten des Theatermachens
Der Interkulturelle Kalender feiert die einzigartige Vielfalt des Ruhrgebiets. Mit der Edition 2022 stellen wir jeden Monat Akteur:innen vor, die das kulturelle Leben im Ruhrgebiet mitgestalten. Im August steht das Kollektiv „RUHRORTER“ im Mittelpunkt. Johanna-Yasirra Kluhs hat mit Adem Köstereli und Wanja van Suntum über den Alltag von Flucht und Migration im Ruhrgebiet und die Gestaltungs(un)möglichkeiten des Theatermachens gesprochen. Das vollständige Interview findet sich in der Publikation „Worauf wir uns beziehen können. Interkultur Ruhr 2016-2021“.
RUHRORTER realisiert seit 2012 Theater und Installationsarbeiten mit Geflüchteten, die von anthropologischer Forschung sowie einem Kindertheaterangebot begleitet werden. Die Gruppe arbeitet kontinuierlich, in Kooperation mit dem Theater an der Ruhr, an einem öffentlich sichtbaren Korrektiv gegen die institutionelle und soziale Stigmatisierung und Kategorisierung von Geflüchteten. Seit 2016 hat Interkultur Ruhr immer wieder mit Kooperationen und Förderungen die Arbeit von RUHRORTER unterstützt.
Johanna-Yasirra Kluhs: Ihr kommt beide aus dem Ruhrgebiet und eure Theatergruppe heißt RUHRORTER. Wie kam es zu der Gründung?
Adem Köstereli: Wir sind stark sozialisiert worden von der Philosophie des Theaters an der Ruhr. Als Jugendliche haben wir dort Theater- und Tanzstücke beispielsweise aus Kasachstan, dem Irak, Tunesien, Iran, Kamerun, der Türkei, Marokko, Litauen oder Polen gesehen und uns damit auseinandergesetzt. Sicher hat das auch mit meiner individuellen Biografie zu tun, warum ich Theater mache und am Theater an der Ruhr kleben blieb. Aber darüber will ich hier nicht sprechen. Schon lange vor RUHRORTER, Mitte der 2000er Jahre, war mein erstes Theaterprojekt mit geflüchteten Kindern, vor allem aus tamilischen Familien und aus dem Kongo, in einem Jugendzentrum. Wenn ihr mit der Straßenbahn in Richtung Mülheim-Stadtmitte fahrt, die vorletzte Haltestelle, da gab es Containerunterkünfte, um das Jahr 2000 rum. Und doch war das Thema ›Migration und Flucht‹ irgendwie unsichtbar. Das hat mich oft beschäftigt. Davor wiederum lernten wir zu unserer Grundschulzeit viele Geflüchtete aus den Jugoslawien-Kriegen kennen. Ich erinnere mich sehr stark an ehemalige Mitschüler*innen, die zu uns kamen, eine Zeit blieben und irgendwann plötzlich wieder weg waren. Warum, wohin und so weiter, das wurde nie thematisiert. Und das hat eine Leere hinterlassen, die ich lange mitgeschleppt habe: Wie konnten diese Menschen so unsichtbar sein bzw. gemacht werden?
Wanja von Suntum: Ich glaube, wer im Ruhrgebiet zur Schule gegangen ist, hatte direkten Kontakt mit Fluchtgeschichten und -biografien. Mit Migrationsgeschichte sowieso, aber wirklich auch mit politischer Verfolgung, Vertreibung, Krieg. Du wirst als Sechsjähriger damit konfrontiert, dass deine Mitschüler*innen davon irgendwie betroffen sind, wurdest damit aber, in unserem Fall, allein gelassen. Und das ist auch durch dieses Verschweigen schon sehr prägend. Es gab Mitschüler*innen, die in diesen Containern gewohnt haben oder in den Unterbringungszentren – vielleicht auch Lagern. Dann war 2012 dein Vorschlag, Adem, da was zu initiieren. Ich fand, das war eine total einleuchtende Idee. Wir sind keine politischen Aktivisten, sondern Theaterleute. Wir können einen Theaterraum anbieten. Das war für mich total anschlussfähig.
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> RUHRORTER bei Interkultur Ruhr
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Die gedruckte Version des Interkulturellen Kalenders 2022 ist leider bereits vergriffen. Eine digitale Version (pdf) zum Herunterladen gibt es >> hier. Das vollständige Interview findet sich in der Publikation „Worauf wir uns beziehen können. Interkultur Ruhr 2016-21“.