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Wir sehen uns in der Zukunft. Ein persönlicher Blick auf das Netzwerktreffen Interkultur Ruhr am 04.12.2021

Online-Netzwerktreffen Interkultur Ruhr, Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, 04.12.2021. Foto: Guido Meincke

Wir sehen uns in der Zukunft. Ein persönlicher Blick auf das Netzwerktreffen Interkultur Ruhr am 04.12.2021

von: 
Alexis Rodríguez Suárez

Alexis Rodríguez Suárez begleitet das Programm von Interkultur Ruhr seit Jahren als Freund und Kollege. Auch beim Online-Netzwerktreffen am 04.12.2021 war er dabei, um Johanna-Yasirra Kluhs und Fabian Saavedra-Lara als Kurator:innenteam des ersten Projektzyklus von Interkultur Ruhr zu verabschieden. Hier ist sein persönlicher Bericht.

"Das Netzwerktreffen Interkultur Ruhr findet online statt” heißt es in der E-Mail, die ich von Leonie Arnold erhalte. Und ich merke, wie wenig mich das überrascht, aber gleichzeitig auch, wie sehr es mich enttäuscht. Ich vermute, dass ich, wie viele andere auch, gehofft habe, bekannte Gesichter persönlich zu treffen und neue Leute kennen zu lernen.

Es ist ein relativ sonniger Samstag, es ist fast 15 Uhr und ich setze mich vor meinen Computer, mache mir eine Kanne Tee und aktiviere den Link, um mich mit der Zoom-Sitzung zu verbinden. Plötzlich verstehe ich, wie die Zoom-App es einem ermöglicht, Menschen, die weit weg sind, nahe zu sein, aber es schwierig macht, diesen Moment mit denen zu teilen, die einem physisch nahe sind. Die Stimmen von Johanna-Yasirra Kluhs und Fabian Saavedra-Lara werden in einem metallischen Echo wiederholt. Das Team von Interkultur Ruhr, das im Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund zusammen ist, ist gezwungen, sich räumlich zu trennen, damit wir alle zusammen in diesem virtuellen Raum sein können.

Kurz nach 15 Uhr erscheinen auf dem Bildschirm schnell Kästchen mit Namen und Gesichtern, die mir bekannt sind, andere wiederum nicht, aber die Atmosphäre ist trotz der Kälte des blauen Lichts auf dem Bildschirm angenehm. "Nach sechs Jahren Programmarbeit verabschiedet sich das Kuratorenteam mit einem Netzwerktreffen am 4. Dezember 2021", so steht es in der Ankündigung auf der Website von Interkultur Ruhr, und irgendwie herrscht eine Atmosphäre, in der allen klar ist, dass es bei diesem Treffen um Abschied geht.

15:13 - Im Zoomraum befinden sich 28 Personen. Ella Steinmann und Prasanna Oommen sind die Moderatorinnen. Bevor sie beginnen, uns durch den Abend zu führen, begrüßen uns Fabian und Johanna und erzählen uns von den ursprünglichen Absichten dieser Veranstaltung, auch von dem Buch, das sie unter dem Titel “Worauf wir uns beziehen können. Interkultur Ruhr 2016-2021” vorstellen wollen. Und dann, mit dem Buch in der Hand, will Johanna das tun, was wie eine Herkulesaufgabe erscheint: sich bei all den Menschen, Institutionen, Vereinen und Initiativen bedanken, die dazu beigetragen haben, Interkultur Ruhr zu dem Projekt zu machen, das es heute ist, und deren Beitrag für das gemeinsam geschaffene Wissen entscheidend war. Stefanie Reichart, Leiterin des Referates Kultur, Sport und Industriekultur beim Regionalverband Ruhr, ist ebenfalls anwesend und lädt uns ein, auf die Jahre zurückzublicken, in denen das aktuelle Team aktiv war, aber auch an die Zukunft zu denken. Eine Einladung, Wünsche und Visionen zu projizieren, um weiter zusammenzuarbeiten.

15:19 - Im Zoomraum befinden sich 30 Personen. Ella Steinmann und Prasanna Oommen laden die Anwesenden ein, Erinnerungen an diese sechs Jahre Interkultur Ruhr zu teilen. Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit Musik in der Hustadt, an ein Treffen mit Mitgliedern von Refugee Strike Bochum bei KITEV in Oberhausen, an eine lebhafte Diskussion im Katakomben-Theater in Essen über Weltmusik, an die vielen einzigartigen Begegnungen, die ich zusammen mit Patrick Ritter beim Sammeln von Material für die Dokumentation des ersten Jahres des Förderfonds hatte, an ein interessantes Gespräch mit Heba Y. Amin über ihr Projekt Devil's Garden im Endstation.Kino. Meine jüngste glückliche Erinnerung war der Filmabend, an dem Becoming Black von Ines Johnson-Spain in einem safer Space für BIPOC gezeigt wurde.

Ich denke, dass es vielen Menschen in diesem virtuellen Raum so ging wie mir: Wir hatten so viele Erinnerungen, die wir teilen konnten, dass es schwer war, eine auszuwählen. Jörg Obereiner lobt die Struktur des Projekts, d.h. dass Interkultur Ruhr drei Handlungsstränge hat: die Vernetzung, die Projektförderung und das kuratorische Programm. Prasanna Oommen hat sich für die Kulturkonferenz 2018 entschieden, und sie ist nicht die Einzige, die dieses Ereignis erwähnt, denn offenbar war es für viele Menschen ein Ereignis, das sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hat. Prasanna beschreibt, was sie mit diesen verschiedenen Momenten verbindet, die Nähe zu den Menschen, ein freundliches, familiäres Miteinander, aber auch die Möglichkeit, Ideen auszutauschen, zusammen zu denken und gemeinsam zu arbeiten. Die Erinnerung, die Jola Kozok teilt, ruft ein intimes und emotionales Bild hervor, in dem das Team von Interkultur Ruhr in einer intensiven Zeit der Arbeit eine wertschätzende Praxis etabliert hat, in der sich die Beteiligten für ihre Leistung gegenseitig applaudieren: Es feiert sich selbst.

In dieser Runde erzählt Günfer Çölgeçen, dass sie beim Verlassen der Veranstaltungen das Gefühl mitnahm, etwas erlebt zu haben, eine Erfahrung mit nach Hause zu nehmen. Sie betont auch, dass die Arbeit von Interkultur Ruhr im Laufe der Jahre dazu geführt hat, dass sich die verschiedenen in der Region tätigen Akteur:innen kennengelernt haben und die Arbeit vieler Menschen dadurch sichtbarer geworden ist. "Kulturarbeit für die Zukunft", so beschreibt Aurora Rodonò die Arbeit dieser sechs Jahre. Sie verweist auf eine Zukunft, in der es eine gerechtere Kulturarbeit gibt, eine Zukunft, in der die Kultur keinen Rassismus reproduziert und kein Othering erzeugt. Bridget Fonkeu unterstreicht die Bedeutung der Mehrsprachigkeit in dieser Landschaft der Zukunft. Eine Zukunft, in der die Legitimität der Verwendung mehrerer Sprachen es ermöglicht, die Komplexität der Gesellschaft widerzuspiegeln. In den Räumen, die in diesen sechs Jahren entstanden sind, hat Bridget den Wert und die Kraft ihrer Stimme (wieder)entdeckt. Johanna reagiert auf diese Bemerkung, indem sie sagt, sie glaube, dass Bridget immer eine Stimme gehabt hat, aber dass sie nicht gehört wurde.

An diesem Punkt nimmt das Gespräch eine andere Richtung. Wir beenden die kollektiven Auflistung der Erinnerungen an die letzten sechs Jahre und beginnen, von Hier und Jetzt aus über Zukunftsprojektionen nachzudenken. Wie wir uns Interkultur Ruhr für die Zukunft vorstellen, ist die Frage, die auf dem Tisch liegt. Nesrin Tançs Wunsch ist es, dass der Geist der Zusammenarbeit beibehalten wird, dass die Idee der Zusammenarbeit mit einer gesunden Arbeitspraxis weiterhin gestärkt wird. Ich denke, dieser Wunsch zeigt die Notwendigkeit, die Machtverhältnisse zu hinterfragen, die entstehen, wenn wir zusammenarbeiten wollen, Ungleichheiten anzuerkennen und bewusste Entscheidungen darüber zu treffen, wie wir eine Zusammenarbeit realisieren, die fair sein will und die, um dies zu erreichen, bereit ist, sich selbst zu transformieren, um schließlich eine neue Struktur zu werden, die einen intersektionellen Ansatz in Betracht zieht.

Dieses Gespräch findet im Rahmen eines Treffens des Netzwerks Interkultur Ruhr statt. Dieses Netzwerk ist ein vielseitiges Organ, in dem verschiedene Perspektiven einen Raum für Diskussionen, Verhandlungen und Wissensbildung finden. Es gibt die Idee, eine dauerhafte, tragfähige Struktur für dieses Projekt zu schaffen, erklärt Stefanie Reichart, wenn sie auf die Frage antwortet, was sie sich für die Zukunft von Interkultur Ruhr wünscht. Und dann frage ich mich, wie es möglich sein könnte, eine Arbeitsweise zu schaffen, bei der dieses Netzwerk als organisierte, dezentrale Arbeitsweise anerkannt wird, wie es möglich sein könnte, Arbeitsweisen der Verwaltung zu erproben, um andere Formen von Partizipation, von Governance zu ermöglichen, die in der Lage sind, die Macht und Stärke, die ein solches Netzwerk hat, zu erkennen.

Fabian Saavedra-Lara und Johanna Yasirra Kluhs werden später gefragt, wie sie das Projekt verlassen, beide sind sich einig, dass diese Jahre sie als Menschen verändert haben. Fabian erzählt, dass die Art und Weise, wie er das Ruhrgebiet nach diesen Jahren der Arbeit sieht und wahrnimmt, ganz anders geworden ist. Johanna räumt auch ein, dass sie einen persönlichen Wandlungsprozess durchlaufen hat, und sagt, dass sie das Projekt nun mit einem Gefühl der Zuversicht verlässt, weil sie im Laufe der Jahre auf die Intelligenz vieler Menschen gestoßen ist, die wertvolle Arbeit leisten und weiterhin leisten werden.

Und an diesem Punkt erkenne ich, dass ich auch auf persönlicher Ebene in diesem Prozess gelernt und mich verändert habe, dank der Gespräche, der Beobachtungen, der gemeinsamen Arbeit, des Zuhörens. Die Frage, die sich mir stellt, lautet: Haben sich diese Einrichtungen und Strukturen, die wir Institutionen nennen, auch selbst verändert? Ich bin mir sicher, dass das viele getan haben, aber ich kann nicht anders, als an das Netzwerk zu denken, das ich vorhin erwähnt habe, diesen fließenden, vielschichtigen Körper, und mich zu fragen, ob es einen Ort gibt, an dem die Stimme dieses Körpers gehört wird. Hat dieses Netzwerk das Potenzial, ein Entscheidungsgremium zu sein? Kann dieses Netzwerk die Veränderungen leiten, die notwendig sind, um die Struktur zu schaffen, in der kollektiv geschaffenes Wissen aufhört, ein Projekt zu sein, und Teil der Struktur wird?

Die Runde der Verabschiedungen geht weiter, Johanna teilt ihre Unzufriedenheit mit dem digitalen Format dieser Veranstaltung mit: "Das ist kein richtiges Treffen", sagt sie. Und das sagt sie vor allem deshalb, weil für sie die Arbeit dieser Jahre auf persönlichen Begegnungen, auf dem gegenseitigen Kennenlernen, auf dem Aufbau von Beziehungen, die über die Arbeit hinausgehen und in denen viele Freundschaften und Kompliz:innenschaften entstanden sind, beruht hat. So kommt sie auf die Idee des Zuhörens zurück und weist darauf hin, dass es viele Stimmen gibt, die schon immer da waren, sie verweist auf das Archiv / die Archive und die Stimmen und Perspektiven, die dort vorhanden sind und die die Existenz vieler Stimmen und Perspektiven bestätigen, die ignoriert wurden.

16:24 Im Zoomraum befinden sich 34 Personen. An diesem Punkt beginnt eine weitere Runde von Verabschiedungen. Zu Beginn der Veranstaltung hatte Ella Steinmann einen Link geteilt, um einige Nachrichten für das Team zu sammeln, das sich verabschiedet. Sie teilt den Bildschirm mit uns und liest einige der Ergebnisse der partizipativen Aktion vor. In dieser Abschiedsrunde sprechen wir über Wissenstransfer und was das Buch “Worauf wir uns beziehen können.” darstellt. Johanna lädt die Anwesenden ein, mit ihr über das Buch zu sprechen, vielleicht bei einem Tee oder einem Spaziergang, in einer echten Begegnung. Viele Menschen nehmen ihre Einladung an und verabschieden sich vom Team und der Veranstaltung. Ein kollektiver Applaus verkündet, dass die Veranstaltung zu Ende geht. Die letzten Ideen, die ausgetauscht werden, sind Einladungen zu weiteren Gesprächen und gemeinsamer Arbeit. Jola Kozok erinnert daran, dass im März 2022 in den Schaufenstern des atelier automatique in Bochum eine Ausstellung zum Inhalt des Buches stattfinden wird.

16:58 Es befinden sich 28 Personen im Zoomraum. Und so wie sie aufgetaucht sind, verschwinden plötzlich diese Fenster, die den Blick auf so viele Orte, so viele Wirklichkeiten freigeben. Die Veranstaltung ist beendet. Ich klappe den Computer zu und stehe vom Schreibtisch auf, während mir ein Satz wieder einfällt: ein Wunsch für die Zukunft, dass es "Interkultur Ruhr nicht geben muss", dass dieses Wissen, diese Art des Zuhörens, des Miteinanders zur Standardnorm wird und nicht zu einem Projekt. Dass man, wenn es um Kulturarbeit geht, den Zusatz "interkulturell" nicht braucht. Wir sehen uns in Zukunft, liebes Team von Interkultur Ruhr.

>> Publikation: Worauf wir uns beziehen können. Interkultur Ruhr 2016-21

Dietrich-Keuning-Haus Dortmund. Foto: Guido Meincke
Johanna-Yasirra Kluhs. Foto: Guido Meincke
Fabian Saavedra-Lara. Foto: Guido Meincke
“Worauf wir uns beziehen können. Interkultur Ruhr 2016 – 2021”. Foto: Guido Meincke
Team Interkultur Ruhr 2021: Yasemin Tayeboun, Fabian Saavedra-Lara, Jola Kozok, Johanna-Yasirra Kluhs, Leonie Arnold. Foto Guido Meincke
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