Die Figuren als Tiefkühlkost
Die Figuren als Tiefkühlkost
SÜPERDEPRESYON. Die einsame Kolumne von Lütfiye Güzel
Die Figuren als Tiefkühlkost
Ich muss nur lange genug in der U-Bahn oder im Bus sitzen bis ein schlichter Nazi-Spruch meine Ohren erreicht. Ich könnte mich daran gewöhnen, aber ich will nicht. Dieses ältere Ehepaar an der Haltestelle, das ein lockeres Gespräch mit mir beginnt, weil der Bus Verspätung hat.
„Und wie lange leben Sie schon hier?“
„Ich bin hier geboren. Also seit 1972!“
„Aha, und wie gefällt es Ihnen hier?“
Ich lasse die beiden wortlos stehen und verfolge die Taube in den Raucherbereich.
Sie sucht und findet nichts.
Einfach gehen und nicht reagieren.
Meine Mutter wäre stolz auf mich.
Zitiere mich selbst, weil es sonst niemand tut:
„Deutschland - nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt.“
Lütfiye Güzel ist eine aus Duisburg stammende Autorin und Dichterin aus dem Ruhrgebiet. Im Jahr 2014 erhielt sie den damals zum ersten Mal vergebenen „Fakir-Baykurt-Kulturpreis“ der Stadt Duisburg. 2017 wurde Güzel mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Seit 2014 bringt sie Gedichte unter ihrem eigenen Label go-güzel-publishing heraus. Ihre aktuelles Buch „wem gehören die tauben“ (best of chapbooks) ist 2025 erschienen. In ihren Texten, Gedichten und Kurzprosa, reflektiert sie existenzielle Themen wie Herkunft, Einsamkeit oder Armut, die sie in Beobachtungen des Alltags an sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet einbettet.
go-güzel-publishing: https://luetfiye-guezel.tumblr.com
Weitere Folgen:
#1 Die Jury darf sich bei mir bewerben
#3 Als Teenager war ich intellektuell
#5 Ich bin weder ein- noch ausgestiegen
#9 Die Tauben sind nicht einsam
#10 Die Frau sitzt auf der Matratze
#12 Mein Vater war der Trödelking