Die Angst als Warentrenner
Die Angst als Warentrenner
SÜPERDEPRESYON. Die einsame Kolumne von Lütfiye Güzel
Die Angst als Warentrenner
An der Supermarktkasse zu stehen und sich anzusehen, was die Leute so kaufen. Äpfel, Brot, Nudeln und so weiter. Ich trenne die Farben, die Formen. Drehe und wende. Gebe dem Hirn etwas zu tun, damit es die Fresse hält und das Herz in Ruhe lässt.
Die Knie weich, zehn Bilder von Ohnmachtsanfällen zwischen Toilettenpapier und Erdnüssen, dazu zwanzig Variationen von Atemübungen.
Die Gesprächfetzen, so langweilig, die Banalitäten wie Messerstiche.
„Einen schönen Tag noch!“
„Ebenso!“
Und ich zeige mit dem Finger auf den Korb, weil ich nicht
„Dinkelkrüstchen“ und „Roggenkrüstchen“ sagen will, dann doch lieber einen Roman schreiben, nervtötend, so mit Einleitung, Hauptteil und Schluss.
An der Supermarktkasse und auch sonst überall auf der Welt, keinen Zentimeter gehen ohne die Angst. Das Lächeln ins Gesicht geritzt. Eine Maske.
Zwei Einkaufstaschen und die Gewissheit, auch morgen und übermorgen
wieder auf alles hereinzufallen.
Zitiere mich selbst, weil es sonst niemand tut:
„Wie gern` die Gedanken kommen,
diese Weltuntergangsstimmung beim Zerteilen eines Apfels.“
Lütfiye Güzel ist eine aus Duisburg stammende Autorin und Dichterin aus dem Ruhrgebiet. Im Jahr 2014 erhielt sie den damals zum ersten Mal vergebenen „Fakir-Baykurt-Kulturpreis“ der Stadt Duisburg. 2017 wurde Güzel mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Seit 2014 bringt sie Gedichte unter ihrem eigenen Label go-güzel-publishing heraus. Ihre aktuellen Bücher sind „L-ABLA“ (2022) und „ich. soll. ruhiger. werden.“ (2023). In ihren Texten, Gedichten und Kurzprosa, reflektiert sie existenzielle Themen wie Herkunft, Einsamkeit oder Armut, die sie in Beobachtungen des Alltags an sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet einbettet.
go-güzel-publishing: https://luetfiye-guezel.tumblr.com
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#3 Als Teenager war ich intellektuell
#5 Ich bin weder ein- noch ausgestiegen